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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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gefälligst wach, verdammt noch mal! Werde wach und denk nach!
    Neben ihr auf dem Boden lag ein zerknülltes hellgelbes Stofftaschentuch, und Winnie Heller erinnerte sich daran, dass Abresch es mit Wasser aus seiner Plastikflasche getränkt und ihr kommentarlos das Blut aus dem Gesicht gewaschen hatte. Seither ließen die anderen sie in Ruhe. Aber ein zweites Mal ließ sie sich nicht täuschen! Sie blickte an sich herunter und entdeckte ein paar schwarze Flecken an der Vorderseite ihrer Fleecejacke. Ihr Blut ...
    Denk nach! Wer könnte ein Interesse daran haben, dass du als Polizistin entlarvt wirst? Was hat sich derjenige, der den Entführern deinen Dienstausweis zugespielt hat, von dieser Aktion versprochen? Und vor allem: Wer hatte überhaupt die Gelegenheit, das Dokument so zu platzieren, dass Bernd quasi darüber stolpern musste?
    Abresch, dachte Winnie Heller, indem sie wieder das zerknüllte Taschentuch ansah. Abresch war definitiv eine Möglichkeit! Quentin Jahn war die andere ...
    Nein, verdammt, nicht der , wiederholte eine Stimme tief in ihr zum x-ten Mal jenen Satz, der sich so tief in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte, dass sie ihn garantiert bis zum St.-Nimmerleins-Tag würde herbeten können. Und mit umso größerer Verwunderung realisierte sie, dass es nicht mehr Alphas Stimme war, die sie diesen Satz sagen hörte. So wie gestern, in der Bank. Der Satz schien sich, im Gegenteil, irgendwie verselbständigt zu haben, und war nun einfach da. Eine Stimme ohne Stimme, ohne Geschlecht, ohne Farbe.
    Nein, verdammt, nicht der. Ich meine den anderen ...
    Winnie Heller schloss die Augen und überlegte, wo genau der Ausweis gelegen hatte. Dicht genug bei der Treppe, sodass ihn jemand rein theoretisch auch von unten geworfen haben konnte? Oder doch weiter weg?
    Nein, dachte sie. Es war ziemlich weit weg, und so ein Ausweis fliegt wahrscheinlich nicht besonders gut.
    Also Abresch oder Quentin. Einer von beiden.
    Aber warum?, überlegte sie. Warum, warum, WARUM? Wem bin ich weswegen im Weg?
    MALINA , antwortete eine Stimme aus dem Halbdunkel ihres noch immer arg in Mitleidenschaft gezogenen Bewusstseins. Du bist Malina im Weg. Und deshalb hat Malina beschlossen, dich aus dem Weg zu räumen.
    Die beiden haben noch auf der Treppe gestanden, dachte Winnie Heller, indem sie zu Abresch und Quentin hinüber sah, die nebeneinander an der Wand kauerten und teilnahmslos vor sich hinstarrten. Beide waren ganz in meiner Nähe, als Bernd mich verprügelt hat. Aber sie haben mir nicht geholfen. Sie haben einfach auf der Treppe gestanden und zugesehen, wie dieser Kerl mich halbtot schlägt. Und selbst wenn er mich umgebracht hätte, hätten sie nur dagestanden und zugesehen. So wie bei Iris Kuhn.
    Der Gedanke ließ sie frösteln.
    Da waren’s nur noch fünf ...
    Aber ich lebe noch, dachte Winnie trotzig. Ich lebe, und ich werde mich garantiert kein zweites Mal aufs Glatteis führen lassen!
     
     
     

3
     
    Verhoeven war kurz vor der Tür gewesen, um frische Luft zu schnappen. Als er ins Haus der Liesons zurückkehrte, traf er auf Goldstein, der eben die Gästetoilette verließ. Der Unterhändler trug sein Basecap jetzt verkehrt herum und zog im Gehen etwas aus der Brusttasche seines Hemdes. Zuerst dachte Verhoeven, dass er rauchen wollte, doch als er näher herankam, erkannte er, dass Goldstein eine Packung Pfefferminzbonbons in der Hand hielt.
    »Wie geht’s Ihrer Tochter?«
    Verhoeven antwortete nicht sofort. Zum einen überraschte ihn die Frage. Zum anderen war er nicht sicher, was er von den Bonbons halten sollte. Und davon, dass Goldstein bereits zum zweiten Mal innerhalb so kurzer Zeit den Raum, in dem alle Fäden zusammenliefen, verlassen hatte. »Gut, hoffe ich.«
    »Weiß sie das mit Winnie?«
    Winnie! Verhoeven merkte, wie die unangemessen vertraute Anrede die Wut zurückbrachte. Die Wut über Goldsteins Leichtsinn. Und über den Verrat, den der Unterhändler seiner Meinung nach an ihm begangen hatte. »Nein«, antwortete er kühl.
    »Aber sie spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist, hm?«
    Dieser Kerl ließ nicht locker! »Ich habe sie in den letzten achtundvierzig Stunden nur schlafend gesehen.«
    Richard Goldstein schob sich ein Pfefferminz in den Mund. »Möchten Sie auch?«, fragte er, indem er Verhoeven die Packung hinhielt.
    »Nein, danke.«
    »Haben wir irgendein Problem, Sie und ich?«
    Verhoeven schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.« »Aber Sie sind mit meiner Art der Verhandlungsführung

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