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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Kollege des Betreffenden zum Abschied grüßend die Hand hob. Er lachte. Offenbar war das Gespräch mit dem Entführer entspannt verlaufen.
    »Fuck, da ist sein Komplize!«, stöhnte Werneuchen.
    Bredeneys Kopf ruckte herum und er sah den zweiten Mann aus dem Haus treten. Er hielt einen Zettel in der Hand, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Rezept. Als sein Blick auf den uniformierten Beamten neben dem Wagen fiel, stutzte er. Dann griff er mit der rechten Hand unter seine Jacke.
    »Nein!«, schrie Bredeney, die Finger bereits am Knauf seiner Tür. »Nicht ...«
    Doch es war bereits zu spät. Sie sahen einen kurzen Lichtblitz, als der Entführer abdrückte. Der Streifenbeamte fasste sich an die Schulter und ging neben dem Passat zu Boden. Sein Kollege lief gebückt um den Einsatzwagen herum und ging hinter der noch immer geöffneten Beifahrertür in Deckung. Von dort aus eröffnete er das Feuer auf den Angreifer.
    »Fuck, fuck, fuck«, fluchte Werneuchen.
    »Zentrale, wir haben einen Schusswechsel«, meldete Bredeney, äußerlich vollkommen ruhig. »Dabei wurde ein Beamter verletzt und ... Ja, ich wiederhole: Ein Polizist ist getroffen. Schicken Sie sofort ...«
    Die Scheinwerfer des Passats flammten auf, als der Fahrer den Wagen mit quietschenden Reifen mitten auf den Rasen vor Dr. Kreuzbergs Haus lenkte. Auf diese Weise durch das Fahrzeug gedeckt, hechtete der Mann aus der Beifahrertür und kniete neben seinem Komplizen nieder, der reglos am Boden lag.
    »Denk nicht mal dran«, fluchte Bredeney, als er sah, dass der Kollege des angeschossenen Streifenbeamten sich anschickte, ohne jeden Feuerschutz zu seinem auf dem Asphalt ausgestreckten Partner zu stürmen. »Nicht so und schon gar nicht allein, Freundchen.« Er riss seine Dienstwaffe aus der Weste und stieß die Beifahrertür auf. »Hey«, schrie er zu dem Beamten hinüber. »Bleiben Sie, wo Sie sind!«
    Der Kopf des Entführers ruckte herum, und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Dann ging der Mann wieder auf Tauchstation und tat etwas, das weder Bredeney noch sein uniformierter Kollege erkennen konnten.
    »Er haut ab!«, schrie Werneuchen, als er urplötzlich den Schatten des Entführers vor einer nahen Buschgruppe gewahrte. »Zu Fuß.«
    »Zentrale«, brüllte Bredeney in sein Funkgerät, während der Streifenbeamte fragend zu ihm herübersah. »Wir haben einen angeschossenen Flüchtigen. Er bewegt sich in nordwestlicher Richtung auf die Frankfurter Straße zu.«
    Der Partner des angeschossenen Streifenbeamten hatte inzwischen die Verfolgung aufgenommen und war im Schatten der Vorgärten verschwunden. Seinem verletzten Kollegen war es gelungen, sich aus eigener Kraft wieder aufzurichten. Werneuchen eilte ihm mit gestreckter Waffe zu Hilfe. Als er sah, dass der Mann klarkam, ging er langsam und vorsichtig um den verlassenen Passat herum, auf den im Gras neben der Einfahrt liegenden Entführer zu. Bredeney beobachtete, wie er sich zu dem Verletzten hinunterbeugte. Als er sich hinter dem Wagen wieder aufrichtete, schüttelte er nur den Kopf.
    Im selben Moment kam der Streifenbeamte, der den Flüchtigen verfolgt hatte, im Laufschritt die Straße herauf. Ein paar Meter von seinem Kollegen entfernt blieb er stehen, sah zu Bredeney hinüber und zuckte mit den Achseln.
    »Zentrale«, sagte Oskar Bredeney mit einem tiefen Seufzer. »Einer der Entführer ist tot. Der andere ist flüchtig ...« Und nach einer resignierten Pause fügte er hinzu: »Wir haben ihn verloren.«

VI
     
     
Gebt Raum, ihr Völker, unserm Schritt:
Wir sind die letzten Goten!
Wir tragen keine Schätze mit: –
Wir tragen einen Toten.
Felix Dahn, »Kampf um Rom«
     
     
     
    Wiesbaden, Oktober 2007
     
    Eiseskälte.
    Er hat das Gefühl, den Verstand zu verlieren, und fast ist ihm, als wäre das eine Gnade. Sie dort, dieses verschreckte Häufchen in dem abgeschabten braunen Sessel, soll die Frau von seinem Familienfoto sein? Die schöne, hochgewachsene Frau mit dem furchtlos stolzen Lächeln in den dunklen Augen und den weichen, kastanienbraunen Locken, die sich jedem Bändigungsversuch auf das Vehementeste widersetzen?
    Um der Realität auszuweichen, dem, was aus ihr geworden ist, nein, dem, was sie aus ihr gemacht haben, sieht er rasch den zweiten Sessel an. Auf der Lehne liegt irgendein Handarbeitszeug. Eine Tischdecke, soweit er erkennen kann. Und ein Bündel Fäden in Grün-Blau-Gelb. Aber von solchen Dingen versteht er nichts.
    Er hat ihr gesagt, was er weiß. Über

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