Schattenriss
am Abend zuvor. »Bei dem auf Dr. Kreuzbergs Grundstück getöteten Geiselnehmer handelt es sich zweifelsfrei um Andreas Barth.«
»Folglich war der andere Maik Voigt«, sagte Jüssen.
»Meine Leute haben ihn nur kurz sehen können, aber sie haben sich das Foto angeschaut und sagen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit Voigt gewesen ist«, nickte Hinnrichs, der die ganze Nacht herumgehetzt war, um Informationen zusammenzutragen.
»Somit hätten wir also zwei der vier Geiselnehmer identifiziert«, resümierte Goldstein.
»Mit dem dritten kann ich vielleicht dienen«, rief Luttmann, indem er via Beamer die Fotografie eines kantigen Mannes an die Wand neben dem Kamin warf. Das Gesicht wies eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Phantombild des Schützen vom Kochbrunnenplatz auf. »Bernd Hoff«, erläuterte er, während seine Kollegen die Aufnahme stumm auf sich wirken ließen. »Er hat eine Ausbildung als Präzisionsschütze, war zuvor bereits Unteroffizier bei einem Panzerbataillon in Wilhelmshaven, und wann immer Freiwillige für eine heikle Mission oder einen Auslandseinsatz gesucht wurden, war er der Erste, der sich freiwillig gemeldet hat.«
»Somit ist der Kerl entweder ein Streber oder ein Psychopath«, konstatierte Goldstein mit der ihm eigenen trockenen Direktheit.
»Ich würde sagen, Letzteres«, entgegnete Luttmann. »Nach seiner Rückkehr von einem erfolgreichen Auslandseinsatz strebte Hoff eine Mitgliedschaft im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr an, allerdings scheiterte er an den strengen psychologischen Anforderungen der Einzelkämpferlehrgänge I und II, die die Grundlage für eine Aufnahme in diese Eliteeinheit sind.« Die wasserblauen Augen des jungen Familienvaters suchten abermals den Monitor. »Ich kann dir noch nicht genau sagen, warum, aber der Truppenpsychologe, der das Auswahlverfahren begleitet hat, riet von einer Übernahme ab, obwohl Hoff glänzende Ergebnisse bei sämtlichen körperlichen Eignungstests erzielt hatte. Insbesondere bei der mehrtägigen Durchschlageübung schnitt er überdurchschnittlich gut ab, aber ... Wie gesagt, das war anscheinend nicht genug.« Er hielt inne und strich sich ein paar verirrte Haare aus der Stirn. »Nachdem Hoff seinen Ablehnungsbescheid erhalten hatte, quittierte er den Dienst und ging ins Ausland. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.«
»Ha!«, machte Goldstein. »Warum wundert mich das jetzt nicht?«
»Gibt es irgendwelche Parallelen zu Voigt oder Barth?«, fragte Monika Zierau, die sich eifrig Notizen gemacht hatte.
»Moment«, murmelte Luttmann. »Wenn ich mich recht erinnere, war Voigt doch auch sechs Jahre beim Bund. Und somit wäre es wohl das Wahrscheinlichste ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern tippte stattdessen eine Weile stumm vor sich hin. »Treffer«, rief er kurz darauf. »Maik Voigt und Bernd Hoff haben zwei Jahre lang in derselben Kaserne Dienst getan.«
Goldstein ließ sein Feuerzeug aufflammen und entzündete eine neue Zigarette. »Und der vierte Mann?«
»Könnte eventuell Jonas Barth sein«, antwortete die Psychologin. »Der kleine Bruder von Andreas.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe mich über die Familie kundig gemacht. Andreas Barths Eltern stammten aus Wernigerode und stellten Anfang der Siebziger einen Ausreiseantrag für sich und ihren einjährigen Sohn. Daraufhin nahmen ihnen die Behörden ihre Ausweise weg und schoben die Eheleute in einer Nacht- und Nebelaktion in den Westen ab. Andreas hingegen brachten sie im Heim unter.«
»So’n verdammter Scheißstaat«, murmelte einer von Jüssens Leuten, die sich im hinteren Teil des Zimmers zur Verfügung hielten. »Und für so was zahlen wir noch immer Soli!«
»Nicht dafür«, widersprach ein anderer. Doch ein Blick von Goldstein brachte beide zum Schweigen.
»Andreas’ Eltern lebten zunächst eine Weile in der Oberpfalz und wohnen heute in Landshut«, berichtete Luttmann weiter. »Sie bekamen nach ihrer Ausreise noch vier weitere Kinder, drei Töchter und einen Sohn. Dieser Sohn, fünfzehn Jahre nach Andreas geboren, wurde von seinem Vater vom Tag seiner Geburt an abgelehnt und scheint zu Hause auch sonst nicht den allerbesten Stand gehabt zu haben. Er lernte seinen älteren Bruder erst vor ein paar Jahren kennen, als auch Andreas Kontakt zu seiner Familie aufzunehmen versuchte. Damals ging Jonas noch zur Schule, aber nach allem, was man so hört, ist er seit einiger Zeit ständig auf Achse, und es gibt Phasen, in denen er
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