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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Winnie, er weiß sich auszudrücken, er hat Sinn für Sarkasmus, und er verfolgt ein ganz konkretes Ziel.
    Trotz ihrer verklebten Augen war sie inzwischen einigermaßen sicher, dass die Entführer zu viert waren. Alpha und sein schattenhafter Kompagnon. Dazu der Brutalo, der ihr das Klebeband um den Kopf geschlungen hatte, und der Kerl, der aller Wahrscheinlichkeit nach den Van gefahren hatte und der, zumindest nach seiner Stimme zu urteilen, verhältnismäßig jung sein musste. Aber warum, um Himmels willen, haben sie uns alle als Geiseln genommen?, überlegte sie, während das Blut mit tausend Nadelstichen in ihre Fingerspitzen zurückfloss. Alle, die wir dort waren? Ist das nicht entsetzlich übertrieben? Immerhin sind sie maskiert gewesen und hätten nicht fürchten müssen, dass die Zurückgelassenen der Polizei irgendwelche brauchbaren Informationen geben konnten.
    Oder doch?
    Was war mit diesem Namen, den Alpha genannt hatte, kurz bevor er sich nach Walther Lieson, dem Filialleiter, erkundigt hatte?
    Malina.
    Winnie Heller runzelte die Stirn, bis das Klebeband über ihren Augen spannte. War das überhaupt ein Name, Malina? Oder doch eher irgendein Codewort? Und wenn ja, an wen war dieses Codewort gerichtet gewesen? An einen Komplizen? An irgendjemanden, der mit ihnen in der Bank gewesen war? Sie schluckte. Die Mauer in ihrem Rücken schien unaufhaltsam näher zu kommen, obwohl sie genau wusste, dass sie sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, nicht mehr lange so stehen zu können. Buchstäblich mit dem Rücken zur Wand …
    Vier Entführer und sieben Geiseln, rekapitulierte sie, um sich abzulenken. Die beiden überlebenden Bankangestellten, eine blond, die andere brünett, dazu die Dicke mit dem Einkaufsroller, der Zeitschriftenhändler, der Araber und dieser unscheinbare Typ im Anzug, der wahrscheinlich ebenfalls in der Filiale beschäftigt war. Sieben Personen und ein Mann, der nicht dort gewesen war, wo die Entführer ihn vermutet hatten: Walther Lieson.
    Herr Lieson musste weg. Ein dringender Termin in Genf. Ein Termin?
    Nein, korrigierte sich Winnie Heller, eine Panne!
    »Wir werden Ihnen jetzt die Fesseln abnehmen«, verkündete in diesem Augenblick der Mann, den sie Alpha nannte. Und genauso ruhig wie zuvor setzte er hinzu: »Wenn Sie Widerstand leisten, werden Sie erschossen.«
    Ein Freund der klaren Worte! Die Muskeln in Winnie Hellers Körper verhärteten sich, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Dieser Alpha war zweifellos ein Mann, der sich nicht von seinen Emotionen leiten ließ, sondern planmäßig und nüchtern vorging. Zumindest vermittelte er bislang diesen Eindruck.
    Sie wich unwillkürlich ein Stück zurück, als sie Schritte gewahrte, die auf sie zukamen. Jemand griff nach ihren Armen, aber anstatt den Kabelbinder durchzuschneiden, nestelte er am Verschluss ihrer Uhr. Winnie Heller merkte, wie das lederne Armband locker wurde. Ein paar Augenblicke später war es verschwunden.
    Verdammt noch mal, sind diese Typen clever, dachte sie, als seine Hand sich auch schon unter ihr Kinn schob. Sie fühlte seine Finger, die warm und rau waren und mit mitleidlosem Griff ihr Kinn fixierten, während er ihr mit der freien Hand das Paketband vom Gesicht riss. Der Schmerz war so stark, dass sie sich fest auf die Lippen beißen musste, um nicht laut aufzuschreien. Dann erkannte sie Alphas abgewandte Silhouette hinter dem wuchtigen Kerl, der direkt vor ihr stand. Anders als seine Komplizen trug der Mann keine Jeans, sondern eine Art Anzughose und darüber einen hellen Baumwollmantel. Er drehte sie mit dem Gesicht zur Wand, sie hörte ein leises Ritschen, dann fielen ihre Hände neben ihrem Körper herunter wie die gekappten Glieder einer Marionette, und der Mann im Mantel ließ von ihr ab.
    Das Gefühl von Instabilität, mit dem sie bereits zuvor gekämpft hatte, verstärkte sich, aber irgendwie gelang es Winnie Heller, sich aus eigener Kraft umzudrehen, ohne hinzufallen. Ihre geschundenen Lider brannten wie Feuer, und etwas lief an ihren Wangen hinunter, doch ob es Blut oder Tränen waren, konnte sie nicht sagen.
    Links neben ihr blitzte das hübsch geschnittene Gesicht der blonden Bankangestellten auf. Weiß. Verängstigt. Hilflos.
    Winnie Heller versuchte, ihre rechte Hand zu heben, doch es wollte ihr nicht gelingen. Also wischte sie sich das Gesicht an der Schulterpartie ihrer Fleecejacke ab. Kein Blut. Gott sei Dank! Einigermaßen erleichtert blinzelte sie sich ein paar

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