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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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letzte Tränenreste aus den Wimpern und sah sich um.
    Sie befanden sich in einer Art Grube oder vielmehr einem Becken, dessen Wände an verschiedenen Stellen mit Resten dunkler Kacheln bedeckt waren. Zuerst dachte Winnie an ein stillgelegtes Schwimmbad, doch je mehr Details im zuckenden Licht der Taschenlampen sichtbar wurden, desto unwahrscheinlicher schien ihr diese Möglichkeit zu sein. Zum einen waren die Maße der Grube viel zu gering für ein Schwimmbecken, zum anderen schien das Bassin – oder was immer es sonst war – überall gleich tief zu sein, ihrer Schätzung nach etwa dreieinhalb bis vier Meter. An der Längsseite führte eine rostige Eisentreppe in den Raum, der oberhalb der Grube lag, und dort schien es auch eine feste Lichtquelle zu geben. Gemessen an dem fahlen Widerschein, der über den Rand des Beckens schwappte, konnte sie allerdings nicht allzu stark sein, vermutlich irgendeine batteriebetriebene Arbeitsleuchte oder ein kleiner Scheinwerfer.
    Die Wände der Grube waren gleich an mehreren Stellen abgebröckelt, der zementierte Boden mit Unrat und Glassplittern übersät. Hoch über dem Rand war zudem ein Teil einer Ziegelmauer erkennbar, die selbst noch aus der Entfernung feucht und brüchig wirkte.
    Irgendeine verlassene Industrieanlage, resümierte Winnie Heller, ohne zu wissen, was sie mit dieser Erkenntnis anfangen sollte. Und zwar eine, zu deren Ausstattung auch ein größeres Wasserbecken gehört hat!
    Sie unternahm einen vorsichtigen Versuch, ihre Schultern zu bewegen, und war froh, als sie merkte, dass allmählich auch etwas wie Gefühl in ihre Arme zurückzusickern begann.
    Neben ihr massierte die blonde Bankangestellte die stark geröteten Handgelenke, und Winnie erinnerte sich daran, dass sie Jenna hieß.
    Halt den Mund, Jenna!
    Unwillkürlich blickte sie sich nach der Brünetten um, die der Kerl im Baumwollmantel soeben als letzte der Geiseln von ihren Fesseln befreite, ein Umstand, den Winnie durchaus nicht uninteressant fand, auch wenn er wahrscheinlich auf nichts anderem als blankem Zufall beruhte. Hinter der Frau entdeckte sie eine Matratze auf dem Boden, die relativ neu aussah, zumindest so, dass sie nicht schon monate- oder gar jahrelang in dieser Grube liegen konnte. Darauf lag eine ordentlich zusammengefaltete Polyesterdecke. Braun mit beigem Muster.
    Winnie Heller fühlte, wie der Anblick ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte. Diese Männer hatten also tatsächlich vorgehabt, jemanden hier unterzubringen. Eine einzelne Person, aller Wahrscheinlichkeit nach diesen ominösen Walther Lieson. Sie hatten den Transport organisiert und ein Versteck hergerichtet. Aber dann hatte es eine Panne gegeben, etwas, mit dem sie im Vorfeld nicht hatten rechnen können. Und nun befanden sich mit einem Mal sieben Geiseln in ihrer Gewalt – anstelle von einer.
    Winnie Heller verspürte ein diffuses Unbehagen, als ihr ein Satz aus einem alten Märchen in den Sinn kam.
    Sieben auf einen Streich .
    Sieben Geiseln, wiederholte etwas in ihr. Sieben Personen, die diese Männer Tag und Nacht überwachen müssen. Sieben Personen, die sich rein theoretisch zusammentun könnten. Und die dann in der Überzahl wären.
    Warum, warum, warum haben diese Kerle nicht ein paar von uns in der Bank zurückgelassen? Aus welchem Grund machen sie sich das Leben so unnötig schwer?
    Weshalb ein solches Risiko, eine solche Belastung?
    Ihr Verstand gab die unbequemste aller möglichen Antworten: Sie haben nicht vor, uns am Leben zu lassen. Zumindest nicht alle sieben. Sie brauchen einen Vorrat, mit dem sie pokern können, sodass sie, wenn sie einen oder zwei von uns umbringen, noch immer ein Druckmittel in der Hinterhand haben …
     
     
     

10
     
    In dem großen, annähernd quadratischen Konferenzzimmer im Erdgeschoss des Nordhessischen Polizeipräsidiums, das Werner Brennicke zur Einsatzzentrale für diesen besonderen Fall erkoren hatte, befanden sich so viele Telefone, dass ein unbeteiligter Betrachter den Eindruck gewinnen konnte, es gäbe wirklich und wahrhaftig etwas zu verhandeln. Einen Kontakt ...
    Der ganze Raum roch frisch geputzt, beinahe steril, was Verhoeven irgendwie befremdete. Selbst die Stühle rund um den ausladenden Konferenztisch in der Mitte des Zimmers schienen brandneu zu sein. Hohe, chromblitzende Gestelle mit roten Sitzflächen, die aussahen, als seien sie noch immer in Plastik eingeschweißt. Aus einem Faxgerät in der Ecke quollen Informationen. Vergleichsfälle. Statistiken.

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