Schattenschmerz
an.
«Ich kenne Chris Lorenz vom letzten Tauchurlaub auf Korsika», antwortete Steenhoff gereizt und merkte im selben Moment, wie merkwürdig der Satz in Petersens Ohren klingen musste. Vermutlich wunderte sie sich auch, warum er einer Urlaubsbekanntschaft nicht nur seine Handy-, sondern auch gleich die Büronummer gegeben hatte.
Ein Treffen mit der Physiotherapeutin zum jetzigen Zeitpunkt hatte ihm gerade noch gefehlt. Er würde es kurz und knapp machen. Eine Stunde, mehr war nicht drin. Chris Lorenz würde das sicher verstehen.
Kaum hatte Steenhoff auf dem kleinen Hof der Zeitung geparkt, als schon der Pförtner wild gestikulierend auf ihn zulief. Der Mann wollte ihm bestimmt das Parken auf dem Grundstück untersagen. Aber für Parkscheindebatten und Sondergenehmigungen hatte Steenhoff jetzt keine Zeit. Er zog seinen Dienstausweis, hielt ihn dem älteren Mann vors Gesicht und sagte barsch: «Mordkommission Bremen.»
Der Pförtner schluckte seine Zurechtweisung hinunter und ließ den ungewöhnlichen Besucher passieren.
«Warten Sie, ich mache Ihnen auf», hörte Steenhoff den Mann geflissentlich rufen. Doch im selben Moment wurde die Tür von innen geöffnet, und ein Redakteur eilte an Steenhoff vorbei in Richtung Marktplatz.
Steenhoff ergriff die Klinke, kurz bevor die Tür wieder zufiel, und ging zu den Fahrstühlen.
Drei Minuten später stand er vor dem leeren Büro von Andrea Voss.
Ihr Platz sah verlassen aus. Steenhoff machte einen Schritt um den Schreibtisch herum und legte die Hand auf den Computer. Er war kalt.
«Kann ich Ihnen helfen?»
Als Steenhoff hochschaute, stand eine schlanke Frau mittleren Alters in der Tür. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.
Steenhoff stellte sich vor, und augenblicklich verschwand das Misstrauen auf dem Gesicht der Redaktionssekretärin.
«Andrea hat schon häufiger von Ihnen erzählt», sagte sie freundlich. «Aber Sie werden sie heute nicht antreffen. Andrea hat sich heute Morgen telefonisch einen Tag freigenommen.»
Steenhoff unterdrückte einen Fluch. «Hat sie gesagt, warum?»
Er sah, wie die Frau überlegte. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. «Ja, ich glaube, sie wollte einen alten Freund aus ihrer Zeit in Hamburg treffen. Er sei nicht mehr lange in der Stadt, aber sie müsse ihn unbedingt wegen dieser Anschlagsgeschichte sprechen.»
«Hat sie gesagt, wo das Treffen stattfindet?»
«Nein. Das habe ich auch nicht gefragt.»
Steenhoff bedankte sich und lief mit großen Schritten an der Sekretärin vorbei zum Ausgang.
20 Minuten später stand er das zweite Mal an diesem Tag vor der Wohnungstür von Andrea Voss. Er lauschte angestrengt, doch kein Laut drang aus der Wohnung nach draußen.
Statt zu klingeln, klopfte Steenhoff in einem Rhythmus, der an verabredete Signale aus alten Spionagefilmen erinnerte, an die Tür. Er wusste, wenn Andrea Voss zu Hause war, würde ihre ausgeprägte Neugierde sie zur Tür treiben.
Er wartete.
Eine Minute verstrich. Eine zweite. Aber nichts rührte sich. Erneut versuchte er es auf ihrem Handy. Nichts. Nur die Mailbox war eingeschaltet.
Steenhoff hinterließ der Journalistin eine kurze Nachricht, in der er sie aufforderte, sich sofort bei ihm zu melden.
Er fragte sich, warum sie bisher noch nicht angerufen hatte. Begriff sie denn nicht, dass Farid ein Tatverdächtiger war? Wie konnte sie sich in dieser Situation mit ihm treffen, ohne Bescheid zu sagen? Sie sollte doch nur einen Kontakt zu dem Afghanen herstellen, mehr nicht.
Mühsam unterdrückte Steenhoff seine aufkeimende Wut. Andrea würde Farid wahrscheinlich mit dem Verdacht der Ermittler konfrontieren, um Stoff für eine weitere Geschichte zu sammeln – und ihn damit warnen.
Warum bloß hielt sie sich nicht an die Absprache?
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20
Bis mittags hatte sich Andrea Voss noch immer nicht gemeldet.
Die Sonderkommission benötigte nur eine knappe Stunde, um zu besprechen, was für ein Netz sie über Bremen auslegen wollte. Steenhoff war sicher, dass sich Farid innerhalb von 24 Stunden darin verfangen würde. Sie kannten seinen Vornamen und sein ungefähres Alter. Zu vielen anderen Tatverdächtigen hatten sie deutlich weniger Anhaltspunkte gehabt.
«Die afghanische Gemeinde in Bremen ist klein», erinnerte Hans Jakobeit aus einem lang zurückliegenden Mordfall.
Die Bundespolizei würde auf dem Bahnhof und dem Flughafen nach Farid Ausschau halten. Frederike Balzer wollte sich mit einer Kirchengemeinde im Bremer Osten in Verbindung
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