Schattenschmerz
setzen, die seit Jahren gemeinsam mit Exil-Afghanen eine Schule in Kundus finanzierte. Joachim Ewerts übernahm die Aufgabe, eine afghanische Ärztin und eine Modedesignerin, die beide aus Kabul stammten, anzurufen, um sich nach einem Mann namens Farid zu erkundigen. Steenhoff bat Petersen und Wessel, zu allen Rechtsanwälten Kontakt aufzunehmen, die sich mit ausländerrechtlichen Fragen beschäftigten, sowie mit der Ausländerbehörde.
Steenhoff erinnerte sich an einen afghanischen Rechtsanwalt, den er aus einem früheren Verfahren kannte. «Ruft den als Erstes an. Gut möglich, dass sich Farid bei ihm irgendwann mal gemeldet hat.»
Hans Jakobeit übernahm die Friedensgruppen, die sich mit dem Thema Afghanistan beschäftigten. Außerdem wollte er einen Club überprüfen, in dem sich afghanische Windhund-Züchter trafen.
Jan Schneider schlug vor, bei einem Verein nachzufragen, der sich um traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer kümmerte.
«Das kannst du dir sparen», sagte Frederike Balzer bestimmt. «Solche Leutchen sind der Polizei gegenüber wahnsinnig misstrauisch. Die werden sich hinter dem Datenschutz verbarrikadieren, nur um nicht mit uns zusammenzuarbeiten.»
Jan Schneider schüttelte den Kopf. «Da irrst du dich, Frederike. Ich bin seit Anfang des Jahres im Vorstand dieses Vereins. Wenn die Mitarbeiter Farid kennen, werden sie einen Weg finden, uns zu helfen.»
Neugierig musterte Navideh Petersen ihren jungen Kollegen. Sie kannte nur wenige Polizeibeamte, die sich in ihrer Freizeit politisch betätigten. Wenn Kollegen ein Ehrenamt übernahmen, dann meist in Sportvereinen oder bei der Verkehrswacht. Wieder mal musste sie sich eingestehen, dass sie bis auf Michael Wessel und Frank Steenhoff nur wenig über ihre direkten Kolleginnen und Kollegen wusste.
Dunkel erinnerte sie sich, dass ihr Vater nach der Flucht der Familie aus dem Iran die Hilfe eines solchen Vereins in Anspruch genommen hatte. Ob es dieselbe Organisation war? Ihr Vater hatte damals einen Ausweg aus seinen Depressionen und Schlafstörungen gesucht und lange auf den wöchentlichen Termin bei dem Persisch sprechenden Psychologen des Vereins hingelebt.
Aber was hatte Jan Schneider mit diesen Themen zu tun? Wieso beschäftigte er sich mit politischer Verfolgung, Folter und traumatischen Fluchterlebnissen?
Navideh betrachtete den Mann, der ihr gegenübersaß, mit neuem Interesse. Mühsam suchte er mit seinen langen Beinen eine bequeme Sitzposition auf dem viel zu kleinen Holzstuhl. Jan Schneider war geschieden und hatte zwei kleine Kinder, um die er sich intensiv kümmerte. Warum opferte er den Rest seiner knappen Freizeit für eine Hilfsorganisation?
Sie nahm sich vor, ihn später danach zu fragen. Da ergriff Jan Schneider erneut das Wort. Er hatte am Vormittag sowohl die afghanische Botschaft als auch das ‹Aktionsbündnis Landminen› erreicht.
«Es gab 1993 in Paghman tatsächlich ein Busunglück durch eine Landmine. Mehrere Schulkinder kamen ums Leben», sagte er und berichtete, dass die Sprecherin, eine ältere, sehr gebildete Afghanin, ihrerseits erstaunt gewesen sei, dass die Absender des Bekennerschreibens die Bezeichnung des Warlords benutzten. «Sie meinte, dass nur noch die Dörfler vor Ort die Bezeichnung Paghman kennen. In offiziellen Schreiben hat die Region zwar längst ihren ursprünglichen Namen zurück. Aber die Bauern trauerten wohl immer noch dem vor Jahren verstorbenen Warlord hinterher und würden angeblich seinen Namen in Ehren halten wollen.»
«Einem Warlord hinterhertrauern?», unterbrach ihn Frederike Balzer skeptisch.
«Der Typ hat dafür gesorgt, dass Bedürftige damals in einer Krankenstation kostenlos medizinisch versorgt wurden», antwortete Jan Schneider ruhig. «Außerdem soll er eine jahrelange, blutige Fehde zwischen zwei Clans befriedet haben.»
«Ein Kriegsherr als Friedensengel», merkte Frederike Balzer spöttisch an.
«Der Absender des Briefs muss also nah dran sein an dieser Region», fasste Steenhoff zusammen.
«So wie Farid», ergänzte Frederike Balzer.
«Wer so ein Unglück miterlebt hat, ist sicher zu allem entschlossen», warf Petersen ein.
Steenhoff sah sie fragend an.
«Ich meine, wenn sich Andrea Voss mit ihm trifft und ihm mit ihren Fragen zu nahe rückt …» Sie stockte.
Niemand sagte etwas im Raum.
«Ich will nicht den Teufel aufs Blatt Papier malen», sagte Petersen. «Aber –»
«An die Wand malen», unterbrach sie Frederike Balzer. «Die Redewendung heißt: den
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