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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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hatte sich Sigrid Werlemann gewünscht, dass Christine ihren Besuch spontan verlängern würde, dass sie einmal gemeinsam mit dem schicken Auto ihrer Tochter an die Wümme fahren und an dem Fluss spazieren gehen würden. So wie früher, als sie noch eine echte Familie waren. Oder das, was sie dafür gehalten hatte. Doch Christine schien ihre Mutter einfach nur abzuhaken, wie eine Aufgabe. Ein Termin weniger in ihrem Leben.
    Erst, wenn das Auto um die Ecke gebogen war, drehte sich Sigrid Werlemann um und ging ins Haus zurück. Das war jedes Mal der schlimmste Moment. Nie fühlte sie sich einsamer als in den Stunden, nachdem Christine abgefahren war. Früher hatte die Tochter noch mal angerufen, sobald sie zu Hause in Hannover angekommen war. Mit dem räumlichen Abstand zwischen ihnen konnten sie manchmal besser reden, als wenn sie zusammen im Wohnzimmer saßen. Doch seit zwei Jahren war auch das weggefallen. Was blieb, war ein Anruf am Sonnabendnachmittag und vier Pflichtbesuche im Jahr.
    Als sie ihre Tochter einmal darauf angesprochen hatte, reagierte diese gereizt. «Ich muss ja auch noch regelmäßig bei Papa vorbeischauen. Meine Freunde beschweren sich schon, dass ich pausenlos auf Achse bin.»
    Sigrid Werlemann hatte das Thema nie wieder angesprochen.
    Der dunkle, volle Ton der Uhr ließ sie plötzlich zusammenzucken. Eine weitere Viertelstunde war vergangen.
    ‹Ich muss endlich die Fenster putzen›, dachte sie, und einen Moment lang fühlte sie, wie ihr all die Aufgaben über den Kopf zu wachsen drohten. Die Terrasse fegen, die Fenster säubern …
    Doch statt anzufangen, blieb sie sitzen und dachte an den letzten Brief, den der Unbekannte
EvG-Technology
geschickt hatte. Sieben Tage hatte er von Germershausen Zeit gelassen. Sieben Tage. Wenn das Unternehmen nicht zahlen würde, wollte er weitermachen.
    In ihrer Vorstellung war es nur ein Einzelner, der die Firma zu erpressen versuchte. Zwar waren die Briefe mit den «Müttern und Vätern von Paghman» unterzeichnet, aber es war immer dieselbe Handschrift. Jemand, dessen Schrift nach links kippte – und der vor nichts zurückschreckte.
    Die Sekretärin atmete schwer aus. Am Sonnabend sollte Hasso von Germershausen durch eine Anzeige im
Weser-Kurier
seine Zahlungsbereitschaft signalisieren. Fünf Millionen Euro! Ihr Chef hatte den Brief sofort zerrissen. Dann hatte er sie zu sich gerufen und sie daran erinnert, dass sie als seine rechte Hand zur Verschwiegenheit verpflichtet sei.
    «
EvG-Technology
wird keine Spielchen von irgendwelchen Irren mitmachen», wetterte er. «Das ist unsere Linie. Fragen von Journalisten oder Polizeibeamten gehen allein über meinen Tisch. Jede unbedachte Plauderei kann dem Unternehmen schaden. Ich hoffe, Sie sind sich der Verantwortung Ihrer Position als Chefsekretärin bewusst?» Sein Blick durchbohrte sie förmlich.
    Sigrid Werlemann hatte sich beeilt, ihm ihre Loyalität zu versichern. Er hatte sie dennoch taxiert, so wie man ein Rennpferd mustert, auf das man sein Geld setzen will.
    Die Erinnerung an diesen Blick jagte ihr noch immer einen Schauer über den Rücken.
    Morgen sollte die Anzeige in der Zeitung stehen. So wollte es der Erpresser. Doch von Germershausen war derzeit mit anderen Dingen beschäftigt. Heute stand ein geschäftliches Treffen mit anschließendem Essen in Hamburg an. Er würde über Nacht bleiben, hatte er seiner Frau Gesine gegenüber erklärt. Sigrid Werlemann hatte für ihn ein Doppelzimmer in einem Fünf-Sterne-Hotel buchen müssen. Und einen Tisch in einem Gourmet-Restaurant in Blankenese.
    Als sie nachfragte, wie groß die Runde sein werde, hatte von Germershausen sie knapp abgefertigt: «Ein kleiner Kreis.»
    Was würde ihr Chef eigentlich noch alles von ihr verlangen? Erst vor ein paar Wochen hatte sie ihn dezent auf den Geburtstag seiner Frau hingewiesen. Auch das gehörte wie selbstverständlich zu ihrer Arbeit.
    Aber es gehörte nicht zu ihren Aufgaben, eine Brosche für seine Frau beim Juwelier auszusuchen und einen Geburtstagsbrief mit ein paar passenden Worten dazu zu schreiben!
    Sigrid Werlemann war noch immer empört, wenn sie daran zurückdachte. Erst hatte sie geglaubt, Hasso von Germershausen erlaube sich einen Spaß mit ihr. Doch ihr Chef pflegte keine Scherze zu machen. Im Vorbeigehen hatte er ihr zugeworfen: «Aber schreiben Sie es bitte nicht zu herzig, ja! Meine Frau ist Hanseatin.»
    An jenem Nachmittag hatte sie früher Feierabend gemacht und war zum ersten Mal in ihrem Leben zu

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