Schattenschmerz
Lächeln zu spielen. Doch wenn der Anwalt sprach, saß jeder seiner Sätze wie ein Schwerthieb.
Steenhoff wusste, dass sie nicht genug in der Hand hatten, um Farid länger als 48 Stunden in Haft zu behalten. Außer, Hans Jakobeit würde in Hamburg einen Überraschungsfund machen oder Motjaba ein Geständnis ablegen. Doch bislang sah alles danach aus, dass sie Farid spätestens am Abend wieder würden laufenlassen müssen.
«Mein Mandant zieht es vor, nichts zu sagen», eröffnete der Anwalt die Vernehmung. «Er hat dafür seine Gründe, die nichts mit Ihrem Fall zu tun haben.»
«Das würden wir gern selbst beurteilen», erwiderte Steenhoff beherrscht.
Der Anwalt zuckte gleichmütig mit den Schultern und ging in die Offensive: «Was genau haben Sie denn gegen Herrn Farid Omar in der Hand?»
Steenhoff fasste die Gründe zusammen, warum Farid der Polizei als Tatverdächtiger galt. Am Ende seiner Ausführungen wusste er, dass Farid in ein paar Stunden wieder auf freiem Fuß sein würde. Kein Haftrichter würde bei der dürftigen Beweislage mitmachen und einen Haftbefehl ausstellen. Auch der Anwalt wusste das. Er warf seinem Mandanten einen triumphierenden Blick zu und klopfte ihm bei der Verabschiedung kumpelhaft auf die Schulter. «Heute Abend sind Sie wieder draußen.»
Dann wandte sich der Verteidiger Petersen zu und sprach sie auf einen früheren Prozess an, in dem sie lange als Zeugin hatte aussagen müssen.
Steenhoff nutzte den Moment, um ein paar unverbindliche Sätze mit Farid zu wechseln. Dabei fiel ihm auf, dass der junge Mann zweimal den falschen Artikel für ein Substantiv benutzte. Auch in ihrem kurzen, nächtlichen Gespräch waren ihm grammatikalische Fehler passiert. Das Bekennerschreiben an die Presseagentur war aber in einwandfreiem Deutsch geschrieben.
‹Entweder hatte Farid wirklich nichts mit dem Anschlag zu tun, oder aber er hat Komplizen›, dachte Steenhoff.
Nach der Vernehmung griff er sich seine Jacke und den Autoschlüssel. «Ich bin in anderthalb Stunden wieder da.»
Petersen sah überrascht hoch. Da Steenhoff keine weitere Erklärung abgab, zuckte sie mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Bericht.
Steenhoff hatte sich in seinem Telefonat gestern Abend für diesen Tag mit Chris Lorenz in einem Café an der Weser verabredet.
Von dort hatte man einen wunderbaren Blick auf die unmittelbar vorbeifahrenden Binnenschiffe und Ruderboote. Der bald 100 Jahre alte Rundbau war einst von einer streitbaren Bremer Kaufmannstochter errichtet worden, die es sich zum Lebensziel gesetzt hatte, die niederen Stände in der Hansestadt von einem Leben in Abstinenz zu überzeugen. In ihren Gasthäusern gab es günstige Speisen und Getränke, aber keine Alkoholika.
Steenhoff ging die Stufen zum eigentlichen Eingang des Cafés hinunter und sah zwei Frauen, die sich mit Prosecco zuprosteten. Anscheinend gab es etwas zu feiern, denn die jüngere der beiden hatte ein noch halb geöffnetes Geschenk vor sich liegen.
Seine Augen suchten das Café ab. Erst beim zweiten Durchgang erkannte er Chris Lorenz. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und schaute scheinbar gedankenversunken aus dem Fenster.
‹Sie will, dass ich sie suche und entdecke›, kam ihm sofort in den Sinn. Er trat von hinten an ihren Tisch.
«Hallo, Chris, ich hoffe, ich habe mich nicht verspätet?»
Sie sah erfreut hoch, blieb aber sitzen und bot ihm ihre Wange für einen Kuss hin. Doch Steenhoff drückte sie zur Begrüßung nur kurz und setzte sich auf den leeren Stuhl ihr gegenüber. Er meinte zu spüren, dass sie über die flüchtige Begrüßung enttäuscht war.
«Mit dir ein Treffen zu arrangieren, ist ja schwerer, als mit dem Bürgermeister eurer Stadt ein paar Worte zu wechseln.» Sie lächelte ihn mit einem ironischen Zug um den Mund an.
«Du hast den Bürgermeister getroffen?», fragte Steenhoff verwundert.
«Ja, ich hatte gestern mit meiner Freundin eine Rathausführung gebucht, und dabei ist er uns über den Weg gelaufen. Er hat sich tatsächlich ein paar Minuten Zeit genommen.»
Steenhoff sah sie verlegen an. «Es tut mir leid, dass ich dich immer wieder vertrösten musste, aber ich bin mitten in den Ermittlungen wegen …»
«Wegen des Park-Attentats», beendete sie seinen Satz. «Verstehe. Du musst furchtbar unter Druck stehen.» Ihre Stimme klang mitfühlend.
Steenhoff war überrascht. Er hatte Vorwürfe und kein Verständnis für seine Situation erwartet.
«Ja, das stimmt. Wir fangen gerade wieder von
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