Schattenschmerz
Frau zurück ins Wohnzimmer.
Petersen und Steenhoff öffneten die Tür zu dem Arbeitszimmer. Der Raum unterschied sich radikal vom Rest des Hauses. Herrschte dort überall eine strenge, klare Ordnung, in der jede zufällig liegengelassene Zeitschrift sofort ins Auge fiel, dominierte in dem Zimmer der Unternehmersfrau das künstlerische Chaos. Drei Staffeleien mit noch unfertigen Bildern standen nebeneinander in der Nähe der Fenster. Pinselkästen, Lacke, Lappen und Firnisfläschchen bedeckten den Boden. Die einst schönen Dielen waren mit Farbflecken übersät. Auf einem alten Holztisch lagen stark benutzte Mischpaletten neben zahlreichen Malspachteln. Das einzige Möbelstück, was nicht in das Zimmer passte, war ein kleiner Sekretär in einer Ecke. Auf ihm stapelten sich Briefe, herausgerissene Zeitungsartikel und kleine Zeichenblöcke. Die Skizze eines bekannten Nolde-Bildes weckte Petersens Neugier.
«Nicht schlecht», murmelte sie anerkennend und hielt das Bild hoch, damit Steenhoff es ebenfalls betrachten konnte.
Plötzlich stutzte sie. Ihr Pulsschlag ging schneller.
Mit einem Bleistift, den sie auf dem Tisch fand, malte sie vorsichtig über ein leeres Blatt einfaches Schreibpapier. Langsam tauchte der Abdruck eines Wortes auf.
Triumphierend hielt Petersen das Papier in die Höhe.
Steenhoff pfiff leise durch die Zähne.
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36
Das Wohnzimmer war dunkel, als Steenhoff und Petersen wieder den Raum betraten. Steenhoff ging zu den Fenstern und zog die Vorhänge zurück.
Hasso von Germershausen wollte protestieren, aber Steenhoff kam ihm zuvor. «Diese Vorsichtsmaßnahme brauchen wir nicht mehr.»
Er drehte sich zu Gesine von Germershausen um. «Warum bezeichnen Sie Ihren Mann als Verräter?»
«Was erlauben Sie sich!», fuhr Hasso von Germershausen dazwischen.
Seine Frau richtete sich kerzengerade auf und schien Steenhoff zum ersten Mal richtig anzuschauen. «Wovon reden Sie?»
«Mein Kollege spricht von der ungeheuren Wut, die Sie auf Ihren Mann haben müssen», übernahm Petersen.
Gesine von Germershausen wirbelte zu ihr herum. Ihre Hände suchten Halt an der Stuhllehne.
«Inwiefern hat Ihr Mann Sie verraten, Frau von Germershausen?», setzte Steenhoff nach.
«Es reicht!», donnerte ihr Mann erneut in die Runde. «Sie werden jetzt sofort mit diesen haltlosen Unterstellungen aufhören und mein Haus verlassen.» Er stand auf und riss die Tür zum Flur auf. «Seien Sie versichert, dass Ihre billige Vorstellung hier ein Nachspiel haben wird. Ich werde mich noch heute mit Ihrem Chef in Verbindung setzen.»
Keiner der beiden Ermittler rührte sich.
«Ich denke, in einem sind wir uns einig, Herr von Germershausen», erwiderte Steenhoff ruhig. «Die Vorstellung wird in der Tat ein Nachspiel haben.» Dann wandte er sich wieder der Frau zu. «Also, Frau von Germershausen. Wollen Sie das Versteckspiel nicht beenden? Immerhin haben Sie Ihr Ziel erreicht und Ihrem Mann heute Morgen einen gehörigen Schrecken eingejagt. War es das, was Sie erreichen wollten? Oder hatte Ihre Inszenierung noch einen anderen Grund?»
Er baute sich direkt vor ihr auf und sah sie auffordernd an.
«Ihre Phantastereien sind ungeheuerlich», erwiderte sie und bedachte Steenhoff mit einem abschätzigen Blick.
Steenhoff konnte nicht anders, als sie für ihre dreisten Lügen einen Moment lang zu bewundern. Die Frau besaß mehr Stehvermögen, als er gedacht hatte.
«Sie hatten sich das hübsch ausgedacht», mischte sich Petersen erneut ein. «Die offene Gartenpforte … Die Kamera an der Auffahrt, die seit Tagen kaputt war … Wie leicht hätte sich jemand nachts auf Ihr Grundstück schleichen und Ihrem Mann einen Drohbrief hinter den Scheibenwischer klemmen können. Nicht schlecht für den Anfang. Ihrem Mann hätten unruhige Tage und Wochen bevorgestanden. Er hätte wohl oder übel ständig auf der Hut sein müssen.» Sie hob eine Augenbraue. «Aber dann kam der kurze Schauer heute Morgen dazwischen.»
Hasso von Germershausen stand wie angewurzelt im Raum.
«Der Erpresser hätte den Zettel praktisch unter Ihren Augen am Auto anbringen müssen», fuhr Steenhoff fort. «Ziemlich unwahrscheinlich für einen potenziellen Attentäter, finden Sie nicht auch, Frau von Germershausen?»
«Noch unwahrscheinlicher ist aber», übernahm wieder Petersen, «dass die Attentäter aus dem Park plötzlich den Namen ihrer eigenen Gruppe nicht mehr richtig schreiben können.»
Gesine von Germershausen hatte einen Schweißfilm
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