Schattenschmerz
auf der Stirn. «Ich höre mir diese infamen Unterstellungen keine Sekunde mehr länger an.»
‹Sie hat dieselbe schneidende Kühle wie ihr Mann›, dachte Steenhoff unwillkürlich. Es graute ihm bei der Vorstellung, wie es das Paar all die Jahre miteinander ausgehalten hatte.
Gesine von Germershausen ging zur Garderobe und griff ihre Jacke. Doch Petersen stellte sich ihr in den Weg. Sie zog eine Klarsichtfolie aus der Tasche, in der das Papier aus dem Arbeitszimmer steckte, und wedelte damit vor der Nase der Frau rum. Deutlich sah man die durch die Bleistiftstriche hervorgetretenen Abdrücke im Papier.
Schwer atmend blieb Gesine von Germershausen an der Garderobe stehen. Niemand im Raum sagte etwas.
«Ja. Ich habe Hasso den Zettel hinter den Scheibenwischer geklemmt», gestand die Frau schließlich. «Ja, ich wollte …» Sie schnappte nach Luft. «Ich wollte ihm diese selbstgefällige, arrogante Fratze herunterreißen und –»
«Schluss, Gesine», unterbrach Hasso von Germershausen seine Frau. «Hör auf mit dem Unsinn. Du sagst jetzt nichts mehr!» Er stellte sich vor Steenhoff. «Sie sehen doch, dass meine Frau völlig verwirrt ist. Sie redet sich in ihrem Wahn noch um Kopf und Kragen. Sie wissen ja gar nicht, wie es gesundheitlich um sie bestellt ist.» Dann drehte er sich um und warf seiner Ehefrau einen warnenden Blick zu. «Ich werde jetzt unseren Hausarzt anrufen, damit er dir eine Beruhigungsspritze gibt.»
«Das würde dir so passen.» Ihre Stimme überschlug sich. «Mich für verrückt erklären lassen, um einen Skandal zu vermeiden … Du hast mich betrogen, Hasso. All die Jahre. Immer wieder. Und ich habe immer so getan, als würde ich nichts merken.» Sie schnaubte. «Und soll ich dir etwas sagen? Deine Frauengeschichten haben mich auch gar nicht mehr interessiert. Aber mit dieser Patricia bist du zu weit gegangen. Du hast mich mit ihr vor dem ganzen Club zum Gespött gemacht, hast in aller Öffentlichkeit getanzt und geturtelt mit ihr. Und ich musste so tun, als würde ich nichts merken. Deswegen gehe ich nicht mehr in den Golfclub. Und nicht etwa, weil die Meyerdierks dich dabei erwischt haben, wie du dein Ergebnis beim letzten Turnier fälschen wolltest.»
Das Gesicht der Frau hatte sich zu einer wutverzerrten Fratze verzogen. Sie wirkte auf Petersen wie eine Katze vor dem Sprung. Petersen war froh, dass sie nicht allein mit ihr war. Gesine von Germershausen war ihr unheimlich.
Hasso von Germershausen schenkte seiner Frau keinen Blick mehr. «Ich nehme an, Sie werden sie zur Vernehmung mit aufs Präsidium nehmen», stellte er sachlich fest.
Steenhoff nickte. Der geschäftsmäßige Ton erschreckte ihn. Hasso von Germershausen schien sich bereits wieder völlig im Griff zu haben.
«Wie geht es anschließend mit ihr weiter?», fragte er emotionslos.
«Nach der Vernehmung können Sie Ihre Frau abholen.»
«Ich denke, sie wird sich besser ein Taxi bestellen und zu ihrer Schwester fahren», entschied von Germershausen. Er lächelte sein bleistiftdünnes Lächeln und fügte noch hinzu: «Ich möchte nach all der Aufregung noch eine Partie Golf spielen.»
Petersen biss die Zähne zusammen. Beinahe wünschte sie sich, Gesine von Germershausen würde auf ihren Mann losgehen und ihm mit ihren gepflegten Fingernägeln kräftig durchs Gesicht fahren. Aber die Frau schien allen Kampfesgeist verloren zu haben. Mit hängenden Schultern stand sie zwischen den beiden Ermittlern.
Petersen war froh, als sie mit Gesine von Germershausen im Fond des Autos endlich vom Grundstück fuhren. Auch Steenhoff wirkte mitgenommen. Niemand wagte, während der Fahrt zu sprechen.
Gesine von Germershausen blickte mit leeren Augen aus dem Fenster.
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37
Es war bereits früher Abend, als Steenhoff die Frau des Unternehmers zum Tor des Präsidiums begleitete.
Sie hatten erst am Nachmittag mit der Vernehmung beginnen können, da sich der Anwalt der Familie zum Zeitpunkt ihres Anrufs in Hannover aufhielt.
Wie erwartet, wusste Gesine von Germershausen nichts über sonstige Erpresserschreiben an ihren Mann. Der Unternehmer hatte seine Frau seit Jahren aus allen geschäftlichen Entscheidungen herausgehalten. Dafür berichtete Gesine von Germershausen mit leiser, gepresster Stimme, wie es um sie und ihren Mann stand. Als die Sprache auf ihre Nebenbuhlerin kam, vibrierte ihre Stimme vor lang unterdrückter Wut.
Am Ende der Vernehmung hatte sie das fertige Protokoll flüchtig gelesen und ohne
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