Schattenschwestern - Feehan, C: Schattenschwestern - Conspiracy Game
dass er gerade nicht mehr zu sehen war, als er das Handtuch zur Seite warf. »Wenn ich deinen Brüdern etwas antun wollte, Briony, dann wären sie längst tot.« Er öffnete die Tür
weiter, während er seine Jeans zuknöpfte. Briony war blass geworden. »War das deine erste Leiche?«
Briony ballte eine Hand zur Faust. Seine Frage klang so beiläufig, dass sie gern einen Gegenstand nach ihm geworfen hätte. Einem Menschen das Leben zu nehmen war keine Belanglosigkeit. »Nein. Ich habe meine Eltern gefunden – ermordet.« Sie brachte die Worte nur mit Mühe heraus.
Er schnappte nach Luft. Jetzt fühlte er, was sie fühlte. Unbändigen Schmerz. Eine Flut von Kummer, die sich mit Schuldbewusstsein und Furcht mischte. »Das wird niemals weggehen. Ich sage dir das, weil ich die Erfahrung selbst gemacht habe. Ich habe meine Mutter tot aufgefunden. Ich war neun Jahre alt. Der Anblick steht mir immer noch vor Augen, bis in alle Einzelheiten. All das Blut. Und wie ihr Gesicht eingeschlagen war. So viel Blut.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist verdammt hart, so etwas für den Rest des Lebens mit sich herumtragen zu müssen, stimmt’s?«
Seine Stimme hatte sich überhaupt nicht verändert; sie klang immer noch sanft. Aber Briony hörte ein drohendes Vibrieren in seinem Kopf. Er ließ sich seine Gefühle überhaupt nicht ansehen, aber sie brodelten in ihm mit der Intensität eines Vulkans, der jeden Moment ausbrechen konnte.
»Ich glaube, jemand hat sie meinetwegen getötet.« Sie sagte es ihm, weil er ihr zu glauben schien, wo sie kein anderer Mensch ernst nahm.
Er war gerade dabei gewesen, sich das T-Shirt über den Kopf zu ziehen, und jetzt hielt er mitten in der Bewegung inne. »Warum?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie draußen im Stall bei den Pferden mit jemandem streiten hören. Ich habe gehört,
wie mein Vater laut und deutlich gesagt hat, sie würden nicht zulassen, dass ich so etwas ausprobiere, es sei zu gefährlich. Ich habe Schüsse gehört. Zwei Schüsse. Ich bin losgerannt, so schnell ich konnte, und ich bin wirklich schnell, aber als ich dort ankam, waren sie beide tot, und derjenige, der sie erschossen hatte, war bereits verschwunden. Jeder von beiden hatte eine Kugel im Kopf, genau hier.« Sie presste sich die Finger zwischen die Augen. »Ich habe nie gesehen, wer es war, und der Mörder musste noch in der Nähe sein, aber ich konnte ihn nicht finden.« Sie sah Jack an. »Ich konnte ihn noch nicht einmal riechen.«
»Was hatten sie mit dir vor?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe es meinen Brüdern erzählt, und sie haben sich die Nachrichten und die Papiere im Wohnwagen vorgenommen, aber sie konnten nichts finden. Die Polizei hat den Mörder unserer Eltern nicht gefunden.« Sie blickte zu ihm auf. »Wie ist deine Mutter gestorben?«
Jack zog sich das T-Shirt über den Kopf. Er hatte es nie jemandem erzählt, nie diese ganz spezielle Wunde aufgekratzt. Er hatte auch nicht die Absicht gehabt, es ihr zu erzählen. Verflucht noch mal. Diese Verletzung ließ sich nicht nähen. Doch er würde es ihr erzählen, und er hatte keine Ahnung, warum. »Sie ist totgeschlagen worden. Er hat seine Fäuste benutzt und ihr dann mit einem Baseballschläger den Rest gegeben.«
»Jack.« Sie wollte die Arme um ihn schlingen. Jetzt fühlte sie, was er fühlte – eiskalte Wut. »Es tut mir so leid für dich. Das ist ja ganz furchtbar. Wer würde so etwas tun?«
»Ihr Ehemann.« Er sah sich im Zimmer um. »Hast du hier einen Hut? Und vielleicht auch einen Rucksack?«
Wie hatte sie glauben können, er fühlte nichts? Das
Zimmer bebte, und die Wände dehnten sich und zogen sich wieder zusammen. »Jack.« Sie streckte eine Hand aus und wollte sie auf seinen Arm legen.
Jack schlug ihre Hand zur Seite, eindeutig eine Reflexhandlung. Er war stark, und sie fühlte den Schlag in ihrem ganzen Körper. Ihre Blicke trafen sich. Ein Muskel zuckte an seinem Kinn.
»Entschuldige bitte. Habe ich dir wehgetan?« Er kam auf sie zu und stellte sich fast schützend vor sie. »Ich weiß nicht, warum ich das getan habe.«
»Es ist nichts passiert.« Sie zog einen Rucksack aus dem winzigen Kleiderschrank, weil sie es vermeiden wollte, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie musste blinzeln, um ihre Tränen zurückzuhalten, aber die Tränen kamen ihr nicht etwa, weil er ihr wehgetan hatte, sondern weil sein Schmerz so immens war und seine Wut so bodenlos, dass sie um ihn weinen musste, weil er es nicht getan hatte und es auch nicht tun
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