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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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meiner Taktik zu, mich in seiner Nähe unsichtbar zu machen. Schließlich hatte ich mir seit Wochen nicht einmal mehr eine Ohrfeige eingefangen. Ein wenig bildete ich mir sogar ein, dass mein Vater davor zurückschreckte, mich anzugreifen, nun, wo ich schon ein halber Mann war. Jedenfalls war ich derartig froh über die Gefechtspause, dass ich gar nicht auf die Idee kam, mich darüber zu wundern. Dabei trank er unübersehbar viel, selbst für seine Verhältnisse. Und in den Nächten weckte er mich auf, weil er sich unablässig im Bett herumwälzte und gequält stöhnte.«
    Mitten in der Erzählung hielt Sam inne. Die Erinnerung hatte ihn eingeholt und einen Moment lang befürchtete ich, er würde nicht weitersprechen, sondern sich ganz dem Sog der Vergangenheit überlassen. »Es ist seltsam«, fuhr er leise fort. »Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich im Bett liegen, ein langgezogener Bursche, um dessen dürre Gliedmaßen ich heute locker Daumen- und Zeigefinger legen könnte. Ich bin das perfekte Opfer für meinen Vater gewesen. Körperlich hoffnungslos unterlegen, aber zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten. Jetzt ist das alles so unendlich weit fort, als gehörte die Geschichte einem anderen, dem Sam aus St. Martin, den ich vor vier Monaten hinter mir gelassen habe. Vermutlich rede ich mir das aber auch nur ein, in Wirklichkeit ist es gar nicht so einfach, ein anderer zu sein. Fortgehen allein reicht dafür wohl kaum aus.«
    »Sam …«, setzte ich an, nicht wissend, was ich ihm Tröstliches sagen könnte. Allerdings kam ich auch gar nicht dazu, denn Sam legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.
    »Kein Grund zur Sorge. Es fällt mir nur so verdammt schwer, das Ganze zu erzählen. Das habe ich noch nie zuvor gemacht.« Bevor er sie wegziehen konnte, griff ich nach seiner Hand und drückte so lange fest zu, bis er die Berührung erwiderte.
    »Die Nächte vor meinem fünfzehnten Geburtstag waren die ungewöhnlichsten meines Lebens«, fuhr er in festerem Ton fort. »Die Decke bis zur Nasenspitze gezogen, lag ich da, die Augen trotz der Dunkelheit auf die dünne Wand gerichtet, hinter der mein Vater mit seinen Dämonen kämpfte. Das Stöhnen, das er ein ums andere Mal ausstieß, jagte mir mehr Angst ein als sein vor Wut verzerrtes Gesicht. Mein Vater war kein Mann, der sich fürchtete. Die einzige Reaktion, die er für alles parat hatte, war Wut. Wem und welcher Sache auch immer er sich in seinen Albträumen stellen musste, es musste grauenhaft sein. Der Schrecken, den mein Vater erlebte, kroch durch die Wände und legte sich wie ein kühles Tuch über mich, bis ich mit den Zähnen zu klappern begann. Es war, als würde etwas mit aller Kraft versuchen, zu mir durchzudringen und seine unsichtbaren Hände um mich zu legen. Als suche jemand auf der anderen Seite der Wand nach einer Möglichkeit, meiner habhaft zu werden, während mein Vater sich gepeinigt in seinem Bett hin und her schmiss. Vermutlich hätte mich dieser Eindruck aufschrecken sollen, hätte mir klarmachen müssen, dass mit jedem Tag, den ich im Haus meines Vaters verbrachte, die Bedrohung für mich größer wurde. Doch am Morgen, wenn alles friedlich war, war die Erinnerung bereits wieder verblasst.«
    »Du machst dir doch nicht etwa Vorwürfe, dass du es diesem Unmenschen zu leicht gemacht hast, dich zu verletzen?« Die Ungerechtigkeit, der Sam ausgesetzt gewesen war, ließ mich fast schreien.
    »Nein, darum geht es nicht«, hielt Sam in beruhigendem Ton dagegen. »An die Gewalttätigkeit meines Vaters war ich gewohnt, aber in diesen Tagen war er nicht er selbst. Als habe jemand ihn in seinen Bann gezogen.«
    Obwohl Sam mir mit seinem Schweigen die Möglichkeit gab, über das eben Gesagte nachzudenken, verstand ich es kaum. »Ein Bann?«, wiederholte ich verwirrt. Dann überkam mich plötzlich eine Ahnung, wovon er sprach. Ich hatte es selbst erlebt, als ich während der Nachhilfestunden die Narben auf seinem Arm betrachtet hatte. Da hatte sich plötzlich ein Schatten aufgetan, nach mir gegriffen, auf mich eingeflüstert. Auch ich hatte unter einem Bann gestanden, nur hatten das damals weder Sam noch ich verstanden.
    Als könnte er mir mein allmähliches Verstehen ansehen, nahm Sam seine Erzählung wieder auf. Zwar sprach er ruhig, aber da war ein feines Beben in seiner Stimme, das verriet, wie viel Kraft ihn das alles kostete.
    »Mein Vater hat mich am späten Abend gestellt, als ich mir einbildete, auch diesen Tag gut überstanden zu haben.

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