Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
mir aus. Vielleicht konnte Rufus mir wirklich dabei behilflich sein, seine Schwester zu befreien? Dann verwarf ich den Gedanken sofort wieder. Falls ich scheitern sollte, hätten die Levanders zwei Kinder an eine Welt verloren, von der sie nicht einmal ahnten, dass sie überhaupt existierte. Die Sphäre war kein Ort für Menschen. Und schon gar nicht für solche, die mir am Herzen lagen.
»Du bleibst hier und damit basta!«, erklärte ich Rufus, der mir daraufhin noch mehr die Luft abdrückte. Wie leicht wäre es gewesen, ihn abzuschütteln. Aber nein, stattdessen befreite ich mich mit viel Mühe und voller Angst, ihn trotz aller Vorsicht zu verletzen.
Manipulier einfach seine Gedanken, schlug Kastor vor, kaum dass ich mich aus Rufus’ Griff herausgedreht hatte, was dieser mit einem Wutschrei kommentierte. Der Grieche lehnte über Shirin und betastete den Einschnitt unter ihrer Brust. Bei der leichtesten Berührung verfärbten sich seine Finger schwarz. Ein gepeinigtes Stöhnen unterdrückend, zog er die Hand zurück. Oder nimm den Burschen mit in die Sphäre, dann kann ich mir hier wenigstens in Ruhe die Finger verbrennen.
»Vielen Dank für den Ratschlag.«
Rufus strich die Locken aus dem Gesicht, die sich bei unserer Rangelei verselbstständigt hatten. Sein Atem ging
schwer von der Anstrengung, aber seine Augen funkelten nach wie vor entschlossen. »Wie kann der Kerl dir einen Rat geben, wenn er den Mund gar nicht aufgemacht hat? Bei dir brennen wohl langsam die Sicherungen durch.«
Ich musterte Rufus eindringlich und obwohl ich seine Antwort bereits ahnte, fragte ich ihn: »Du bestehst also weiter darauf, mich in die Sphäre zu begleiten, obwohl ich dir versichere, dass es dort zu gefährlich für dich ist? Denn das ist es, Rufus. Die Wahrscheinlichkeit, dass du als Herr deines Verstandes oder gar lebendig zurückkehrst, ist ziemlich gering. Niemand kann die Gefahr abschätzen, die von der Schattenschwinge ausgeht, die Mila verschleppt hat. Die Sphäre ist nicht der richtige Ort für dich, heute weniger als je zuvor.«
»Mila ist dort und ich werde ihr helfen.« Das kam genau so stur rüber, wie ich es erwartet hatte.
»Dreck«, murmelte ich und ließ den Kopf hängen. »Du wirst mich dafür hassen, so viel steht schon mal fest.« Dann griff ich nach seinem Willen und formte ihn um. Es ging erschreckend leicht. Mit jedem Mal, wenn ich einen Menschen willentlich beeinflusste, wurde es einfacher. Nicht mehr lange und ich würde ein Meister dieses Faches sein. Großartig. Ein Meister darin, mir die Menschen so zu machen, wie es am besten mit meinen Plänen zusammenging.
Angewidert von mir selbst, nickte ich Rufus nur zu, als der mit einem hektischen Blinzeln zu mir sagte: »Ja, du hast recht. Wir dürfen Lena im Krankenhaus auf keinen Fall allein lassen! Sie braucht Unterstützung, damit sie mit Nikolais Übergriff fertig wird. Sonst verliert sie noch den Verstand, vor allem, weil Mila ihr jetzt nicht zur Seite stehen und alles in Ruhe erklären kann. Los geht’s! Du fährst, wir haben nämlich null Zeit zu verlieren. Wirf mich auf dem Weg zum Meer beim Krankenhaus raus. Nur eins, Sam:
Wehe, ich kriege meine Karre nicht heil zurück, dann helfen dir auch deine Superman-Kräfte nix.«
Kastor warf mir nur einen schnellen Blick aus den Augenwinkeln zu, als wir zum Ausgang eilten, Rufus schon mit den Autoschlüsseln in der Hand, die er mir in einem hohen Bogen zuwarf. Dir ist nichts anderes übrig geblieben , beruhigte er mich, dann wendete er sich wieder Shirin zu. Grauer Dampf stieg von seinen Fingern auf und roch wie erkaltete Glut.
31
Böses Erwachen
Mila
Es ist seltsam, aus einer Ohnmacht zu erwachen. Ganz anders, als wenn man sich am Morgen mühsam aus der Umarmung seiner Träume freikämpft. Wenn man bewusstlos ist, ist alles schwarz. Man ist quasi vom Stromnetz genommen. Dann kehrt die Realität mit immer stärker werdenden Stromstößen zurück. Jedes System wird einzeln in Betrieb genommen: Plötzlich hat man wieder einen Körper, die Sinne melden sich zurück und stellen Fragen, die die Erinnerung nur zögerlich beantworten kann, weil sie am längsten zum Hochfahren braucht.
Warum liegen wir auf einem rauen Untergrund, wo wir doch eben noch im Begriff gewesen sind, durch die Haustür zu flüchten?, fragt der Körper verwirrt.
Keine Ahnung, murmelt die Erinnerung.
Um uns herum riecht es salzig. Kannst du dafür vielleicht eine Erklärung bieten?
Nö, bei uns im Haus riecht es eigentlich nie
Weitere Kostenlose Bücher