Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
hysterisch klingt. Wenn die Zeiten des Schattens wieder aufleben, dann kann sich die Menschheit auf etwas gefasst machen. Hierbei geht es um mehr als um deine vermisste Freundin. Das musst du dir klarmachen, Samuel.
»Wenn es hierbei nicht um Mila gehen würde, dann wäre mir das alles komplett egal. Das solltest du dir mal besser klarmachen! Sobald ich die Sphäre hinter mir lassen kann, werde ich es tun.«
Kastors hervortretenden Kieferknochen sah man an, dass er seine Zähne aufeinanderbiss, bis es wehtat. Trotzdem weigerte er sich nach wie vor, mich endlich ins Wohnzimmer eintreten zu lassen. Das ist vollkommen unmöglich. Du bist mehr Schattenschwinge als Mensch. Du kannst die Wahrheit nicht leugnen.
»Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Sphäre sich mehr und mehr als grauenhafter Ort entpuppt. Und sollte ich jetzt gleich auch noch feststellen, dass Mila genau dorthin verschleppt worden ist, dann weiß ich endgültig, was ich von den Schattenschwingen zu halten habe.«
»Scheiße, was sagst du da über Mila?« Rufus sprang mich fast von hinten an. »Die ist nicht weg! Die schwänzt nur, weil sie wegen dir komplett fertig ist. So ein Mist. In ein paar Stunden kommen meine Eltern nach Hause. Irgendeine Idee, wie ich denen klarmachen soll, dass ihr heiß geliebtes Nesthäkchen mal eben so in eine andere Sphäre gewechselt ist? Die flippen aus, und zwar richtig.«
Verdammt! Warum benutzte ich nicht ebenfalls das mentale Netz, um mit Kastor zu reden, sondern brüllte meine Ängste in Rufus’ Beisein frei heraus? »Beruhig dich. Ich weiß auch nicht genau, was mit Mila ist. Aber ich verspreche dir, dass ich das geregelt habe, bis deine Eltern zurück sind. Irgendwie.«
Rufus nuschelte eine Unmenge an Kraftausdrücken vor sich hin, bis er genug Druck abgelassen hatte. »Nicht irgendwie oder irgendwann, sondern sofort. Du hast keine Ahnung, wie Reza sich aufführen kann, wenn es um ihr Baby geht. Da ist Daniel ein Weichei gegen, verstanden? Also, hast du vielleicht irgend so eine Art Detektor, mit dem wir meine kleine Schwester auftreiben können, damit ich sie übers Knie legen kann? Denn das werde ich tun, selbst wenn du mir dafür sämtliche Himmelsscharen auf den Hals hetzt.«
Er hat wirklich ein falsches Bild von uns , merkte Kastor trocken an.
Genervt den Kopf schüttelnd, trat ich ins Wohnzimmer.
Auf den ersten Blick sah es dort aus wie immer. Milas Tasche lag auf dem Esstisch, einige der für sie typischen Dinge, wie die Dose mit den Pfefferminzpastillen und ein knallrotes Haarband, für das es eigentlich keine Verwendung mehr gab, waren herausgefallen. Ihr Handy drehte sich im Kreis, während es ein aufgeregtes Vogelpfeifkonzert in die Welt trällerte. Lena hatte allem Anschein nach immer noch nicht aufgegeben, bei ihr durchzurufen.
Auf den zweiten Blick bemerkte ich die feine Ascheschicht, die sich über alles gelegt hatte, auch über jene Spuren, aus denen wir Schattenschwingen Rückschlüsse ziehen konnten. Selbst für mich und meine besondere Wahrnehmung schien der Raum wie leer gefegt. Die Erinnerungen an das Leben der Levanders, die sonst wie blasse Abbilder in der Luft hingen und davon berichteten, dass hier eine zufriedene Familie wohnte, waren verschwunden. Genau wie die Spuren, die Nikolai eigentlich hätte hinterlassen müssen – von der Ascheschicht abgesehen.
Das hatte er mit Absicht getan. »Nikolai wollte verbergen, was er hier gemacht hat. Und genau damit verrät er sich.« Mit bleiernen Beinen ging ich auf den Kamin zu. Hier wurde der Staub besonders dicht. Nikolai hatte sie mitgenommen – sicherlich gegen ihren Willen, obwohl es für Letzteres keinen Beweis gab. Oder doch! Der Ring hatte mir eindeutig verraten, dass sie unfreiwillig in die Sphäre gewechselt war. Ihren Wechsel hatte ich ähnlich schmerzhaft gespürt wie sie. Hastig presste ich den Ring an meine Lippen, spürte die Wärme in der Tiefe des Materials. Mir war, als würde ich ein feines Pochen wahrnehmen, einen Ruf nach seiner zweiten Hälfte, der nicht erwidert wurde.
Nikolai wird einen Grund dafür gehabt haben, Mila mit in die Sphäre zunehmen . Wo steckt Shirin bloß? Obwohl er eben erst neben mich getreten war, wich Kastor bereits wieder zurück, als er mein Gesicht sah. Der Ring … was verrät er dir?
Ich schwieg, weil ich es nicht über mich brachte, die Wahrheit auszusprechen.
»Wollt ihr beiden nur rumstehen und Staub ansetzen?« Rufus lief kreuz und quer durch den Raum. »So eine Kacke, das
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