Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
Unterlippe und schluckte hörbar. »Ich zwinge dir etwas auf, das du gar nicht willst, nicht wahr? Das geht dir alles viel zu schnell. Du hast kaum in der Sphäre Fuß gefasst, da verlange ich dir auch schon einen irren Spagat ab, nur weil es für mich so schön wäre, dich jederzeit an meiner Seite zu haben. Das hättest du mir gleich sagen müssen, Sam, dass hätte es für uns beide leichter gemacht.«
Rufus räusperte sich. Er war aufgestanden, ohne dass es einer von uns beiden bemerkt hatte. »Irgendwie habe ich das Gefühl, das solltet ihr allein klären. Ich geh rüber zu Toni und schnorr noch ein Bier.« Ungewöhnlich behutsam zog er die Tür hinter sich zu.
Es brannte mir auf der Zunge, Mila eine ausweichende Antwort zu geben, aber nachdem sie so ehrlich gewesen war, wollte ich das nicht. Lügen und Ausflüchte lagen mir ohnehin nicht. Also holte ich tief Luft und beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Ich habe dir versprochen zurückzukommen, aber so schnell, wie du es gern hättest, geht es leider nicht. Ich weiß kaum, wo mir der Kopf steht. Die Sphäre ist bei Weitem nicht der perfekte Ort, für den ich sie gehalten habe. Wir Schattenschwingen verhalten uns wie ein Haufen zähnefletschender Idioten, die sich am liebsten gegenseitig an die Kehle gehen würden, anstatt geschlossen unsere Probleme anzugehen. Doch trotz des ganzen Theaters verspüre ich den Wunsch, mehr über meine Natur und meine Fähigkeiten herauszufinden. Das ist die eine Hälfte von mir – du bist die andere Hälfte, und so soll das auch bleiben. Aber wenn ich
jetzt auch noch St. Martin obendrauf packe, zerreißt es mich.«
»Dann lassen wir es, wie es ist. Das ist vollkommen okay. Jetzt, wo du es mir gesagt hast, verstehe ich es …« Vergeblich bemühte Mila sich, tapfer dreinzublicken. »Irgendwie fühle ich mich ganz schön blöd, so als ob ich nur an mich selbst gedacht hätte. Dabei war mir einfach nicht klar, was bei dir los ist. Alles war irre hektisch die letzten Tage, und dass du ständig wechseln musst, um bei mir zu sein, ist sicherlich auch kein Geschenk. Wahrscheinlich sollten wir beide einen Gang runterschalten.«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagte ich schnell, bevor sie auf die Idee kam, mir Besuchsverbot zu erteilen. »Ich will nur die St.-Martin-Kiste ein paar Wochen nach hinten schieben, mehr nicht.«
Mila rieb sich mit ihren Händen übers Gesicht. Als sie die Hände wieder senkte, wirkte sie zu meiner Erleichterung ruhiger. »Eigentlich passt das sogar ganz gut. Meine Eltern sind heute nämlich für einige Tage verreist. Das bedeutet, du kannst bei uns ein- und ausgehen, wie es dir gefällt. Zumindest nachdem du Lena Guten Tag gesagt hast. Die will nämlich auch ihre Zelte bei uns aufschlagen. Wenn die nicht langsam aufgeklärt wird, stecke ich wirklich in Schwierigkeiten. Außerdem verspüre ich das dringende Verlangen, meiner Freundin alles über uns zu erzählen.«
»Alles?«, fragte ich misstrauisch und dachte dabei speziell an die letzte Nacht. Der Schreck über Rezas Spontaneinlage lag mir immer noch im Magen. Dann beschloss ich, meine Sorgen zu vergessen und mich einfach über die Aussicht zu freuen, Zeit mit Mila verbringen zu können, ohne dass ihr die Zehen abfroren und wir ständig flüstern mussten. »Eine stressfreie Zone, dass wird uns beiden guttun. Ich sehe uns schon nebeneinander auf dem Sofa sitzen und DVD schauen
wie ein zufriedenes Ehepaar. Wir werden ausschließlich langweiligen Pärchenkrams machen: kochen, rumhängen, die Badewanne ausprobieren. Zu zweit natürlich.« Es gelang mir tatsächlich, sie zum Lächeln zu bringen.
»Sam.« Mila beugte sich vor, bis ihr Gesicht verführerisch nah vor meinem war. »Sagst du mir noch einmal, was du mir im Garten gesagt hast?«
»Ich liebe dich.«
Ein feines Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, dann küsste sie mich.
5
Eingenistet
Das Ganze kam mir vor wie ein Déjà-vu: Kurz vor Anbruch der Morgendämmerung stand ich übernächtigt am Strand der Sphäre, mit den Gedanken noch ganz bei Mila, während ich auf Asami wartete.
War das nicht eben erst so gewesen?
Für einen verstörenden Moment hatte ich das Gefühl, die Übersicht über mein Leben zu verlieren. Wer war ich noch einmal, und was wollte ich hier? Mutlos ließ ich mich in den klammen Sand sinken und vergrub mein Gesicht zwischen den verschränkten Armen, die auf meinen Knien lagen. Ich musste dringend dieses Gefühl von Machtlosigkeit abschütteln und mir stattdessen
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