Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
seine Arme zu schließen. Erst als Ranuken mich in die Seite knuffte, gelang es mir, mich zu fassen. Ich musste akzeptieren, dass Mila unter Nikolais Händen eine andere geworden war, denn das Mädchen, das ich kannte, hätte ihre Freundin niemals eingeschlossen und vergessen.
»Coole Nummer.« Ranukens Daumen schnellte in die Höhe. »Meinst du, ich könnte Asami auch so eine Wunderwaffe aus den Rippen leiern? Allerdings müsste meine gerade sein, so ein verbogenes Ding will ich nicht.«
Wider Willen musste ich lächeln. Ranuken war kein sonderlich großer Krieger, auf der mentalen Ebene war er so mitteilsam wie ein Kieselstein, und seine Aura hatte trotz Rufus’ Hilfe nicht einmal eine Delle in der Glaswand hinterlassen. Trotzdem war seine Hilfe unverzichtbar, so viel stand fest.
»Mann, hören die beiden vielleicht langsam mit der Knuddelei auf? Ich will auch mal ran, schließlich bin ich ebenfalls ein Freund von Lena«, begann Ranuken zu maulen, als Rufus Lena immer noch umfangen hielt, als hinge sein Leben davon ab.
»Es besteht kein Grund zur Eifersucht«, beschwichtigte ich ihn. »Du bist weiterhin ihr Buddy Nr. 1 , den Rang will Rufus dir bestimmt nicht streitig machen.«
»Meinst du?« Bevor ich etwas erwidern konnte, stieß Ranuken ein schrilles Quietschen aus. »Ihhh, die knutschen ja! Okay, nun hab ich’s kapiert, Rufus hat Vortritt. Hätte mir ja ruhig einer sagen können, was zwischen den beiden läuft.« Ranukens Ohren stachen knallrot aus seinem Haarwust hervor.
»Das wussten Lena und Rufus bis eben wohl selber nicht so genau.«
Als sich das junge Glück voneinander löste, bekam ich endlich die Chance, mir Lena genauer anzuschauen: Sie wirkte erschreckend gebeugt in der schlichten Tunika, und unter ihren verweinten Augen zeichneten sich tiefe Schatten ab. Um ihren wunden Fußknöchel lag ein Bernsteinschloss, an dem ein Stück Kette befestigt war.
Lena bemerkte meinen Blick. »Ein besonders hübsches Geschenk von Niki, damit ich keine Flugstunden unternehme. Die Kette wurde allerdings durchtrennt, als Mila die Tür zu diesem Zimmer geschaffen hat. Zack – und durch war das Mistding.« Dann biss sie sich auf die Unterlippe. »Hast du Mila bereits gesehen?«
Ein Beben durchfuhr meinen Körper. »Ja, ich habe Mila nicht nur gesehen, sondern auch kurz mit ihr gesprochen. Sie weiß nicht, wer ich bin, und sie weiß nicht, wer sie in Wirklichkeit ist. Sie hält sich für Nikolais Gefährtin.«
Rufus fluchte, woraufhin Lena seine Hand nahm, ohne den Blick von mir zu nehmen.
»Mila hält sich nicht bloß dafür, sie ist es. Nikolai hat sie unablässig berührt. Anfangs, um von ihr zu nehmen, weil die Flucht durch die Aschepforte ihn sehr geschwächt hatte. Aber seine anfängliche Abneigung hat sich schnell gewandelt, wenn du mich fragst. Er braucht sie und nach einiger Zeit brauchte sie ihn ebenfalls. Es war ein Geben und Nehmen, nur dass Mila sich dabei verloren hat und als Ausgleich gab es nur Nikolai.«
Ein tiefes Grollen entfuhr meiner Kehle, voller Wut und Trauer.
Lena wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Es tut mir leid, Sam. Ich weiß, dass dich das sehr verletzt, aber wenn du sie zurückholen willst, musst du doch die Wahrheit wissen, oder?«
»Je mehr ich weiß, desto besser. Ich würde gern in deine Erinnerung blicken.«
Unter ihrer geröteten Haut wurde Lena schneeweiß. »Das geht nicht. Wirklich. Damals an den Wellenbrechern, als Nikolai mich berührt hat … Ich kann das unmöglich zulassen, das würde ich nicht schaffen. Ich …« Ihr Atem begann verräterisch zu rasen.
»Ganz ruhig.« Ich widerstand dem Bedürfnis, ihr durchs zerzauste Haar zu streicheln. »Wir finden einen anderen Weg, damit ich alles Notwendige erfahre, ohne dich einer direkten Berührung auszusetzen. Rufus?«
Rufus stand dermaßen schnell zur Stelle, dass mir ein »Wow« entfuhr.
»Was soll ich machen?«
»Da weitermachen, wo du eben aufgehört hast.« Als er mich verständnislos ansah, grinste ich ihn an. »Du sollst dich mit Lena verbinden, dich voll auf sie einlassen, damit ich über dich an sie herantreten kann.«
»Und das soll funktionieren?« Rufus sah nicht sonderlich überzeugt aus, obwohl er Lena bereits an sich zog.
»Der Grund, warum Nikolai unbedingt mich und Mila gemeinsam in seine Gewalt bringen wollte, bestand darin, dass ich als Medium zwischen den beiden dienen sollte. Auf diese Weise hätte Nikolai Zugriff auf sie gehabt, ohne sich den Nebenwirkungen einer solchen
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