Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
plötzlich aussetzen oder gar aufhören. Nun schlief Sam, und wenn er schlief, konnte er zumindest keinen Unsinn in Form von Großtaten anstellen, beruhigte ich mich. Warum sollte ich in der Zwischenzeit also nicht Spaß mit meinen Freunden haben? Weil mich diese Veranstaltung irgendwie beunruhigte … und zwar nicht wegen der Leute mit den vielen Piercings im Gesicht oder dem süßlichen Dopegeruch, der penetrant in der Luft hing. Es war etwas anderes. Eine dunkle Ahnung.
Die Party fand in einer Lagerhalle statt, die sich noch im Rohbau befand, mit jeder Menge Beton, Stahl und Glas, und war alles andere als legal. Blieb nur zu hoffen, dass der Lärm die Ordnungshüter nicht auf den Plan rief … Doch die Chancen, dass kein Blaulicht auftauchen würde, standen ganz ordentlich, denn die Halle lag weit abseits vom Hafen.
Rufus hatte Lena von der Veranstaltung erzählt, vermutlich in der Hoffnung, dass sie mit ihm zusammen hingehen würde – was sicherlich auch der Fall gewesen wäre, wenn er die Finger von dem nicht mehr ganz so frischen Vitello Tonnato gelassen hätte. Seit wann vertraute er so überaus naiv dem Inhalt unseres Kühlschranks, in dem sich der eine oder andere Lebensmittelrest erfahrungsgemäß so weit entwickelte, dass er ein Eigenleben zu führen begann? Nun verbrachte Rufus den Abend auf der Toilette, während ich meine ersten Erfahrungen mit illegalen Partys sammelte.
Zweifelsohne war diese Aktion für St.-Martin-Maßstäbe eine ganz abgefahrene Sache, aber ob ich der richtige Typ dafür war, wagte ich zu bezweifeln. Bislang hatte ich ja noch nicht einmal einen anständigen Club besucht, sondern nur Schulfeten und eine außer Kontrolle geratene Geburtstagsfeier, auf der Lena gelernt hatte, dass man eine Flasche Wodka in der Bowle zwar nicht schmeckt, die Wirkung aber trotzdem eintritt, genau wie der Kater am nächsten Tag. Ich dankte meinem Schicksal seither dafür, dass ich Gummibärenbowle einfach eklig fand.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist mit dieser Party.« Ich musste kräftig an Lenas in Querstreifen geschnittenem Shirt zupfen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Meinst du, irgendwer hat über Fluchtwege nachgedacht, für den Fall, dass ein Feuer ausbricht? Diese Blechbüchse hat nämlich kaum Ausgänge und es ist brechend voll.«
»Entspann dich, du Angsthase. Was soll denn brennen? Der Betonboden vielleicht?«
»Ich dachte eher an deine Haare.«
Die lila Strähnen in dem grünen Wischmopp, der mal Lenas Haarpracht gewesen war, sahen hochchemisch aus und hatten Rufus zu dem neuen Spitznamen Jokerline für seine Beinahe-Freundin inspiriert. Für Rufus’ Verhältnisse klang das fast schon zärtlich.
»Was ist mit Lenas Haaren? Die sind fantastiös!«, krakeelte Ranuken, der gerade zu uns zurückkehrte. Der wandelte durch die Menge, als stellten die unzähligen Leiber um uns herum null Widerstand dar. Auch für ihn war es seine erste Party, aber er verhielt sich wie ein Vollprofi. Da konnte man glatt neidisch werden.
»Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei dieser Veranstaltung«, erklärte ich ohne viel Hoffnung, dass einer von beiden spontan vorschlug, den Abend gemütlich auf dem Sofa mit einer DVD und einem Stück Pizza auf der Hand ausklingen zu lassen. Warum hatte ich nicht auch etwas von dem grünstichigen Vitello Tonnato gegessen? Dann käme ich mir jetzt nicht so fehl am Platz vor.
Mittlerweile war die Musik derartig laut, dass Lena mich anstatt eines Kommentars nur fragend anschaute. Resigniert zuckte ich mit der Schulter. Dann deutete sie auf die Halle, die zur riesigen Tanzfläche umfunktioniert worden war. Der Nachthimmel schaute von oben durch die Glasscheiben, die in die Stahlträgerkonstruktion des Daches eingelassen waren. Lena ließ ihre Hüften kreisen, als würde ich ansonsten nicht kapieren, was sie wollte. Ranuken begann vor Aufregung sofort auf- und abzuspringen. Ergeben nickte ich und ließ mich von den beiden durch die Menge schieben.
»Wie heißt diese Krankheit noch einmal, bei der man sich vor Menschenmassen fürchtet? Ich habe sie jedenfalls spontan bekommen, da bin ich mir ziemlich sicher.«
Anstelle von Mitleidsbekundungen grölte Ranuken mir etwas ins Ohr, das verdächtig nach »Bumm-bumm-bumm« klang.
»Das ist unsere Nacht!«, schrie Lena mir so laut ins andere Ohr, dass mein Trommelfell fast platzte.
Ich gab endgültig auf. Die beiden wollten feiern? Bitteschön. Sollte sich doch wer anderes Sorgen darüber machen, dass diese
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