Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Aura wie weggewischt war. Offenbar hatte beides die Zerstörung der Aschepforte nicht überstanden. Was auch immer er getan hatte, um seine Rache zu nehmen, es hatte ihn das gekostet, was ihn zu einer Schattenschwinge machte. Das, und noch viel mehr, so reglos, wie er dalag.
Unter Aufbietung all meiner Kräfte gelang es mir, mich zu ihm zu schleppen. Kastors Haut war pechschwarz angelaufen, und als ich sein Gesicht zu mir wendete, erschreckte mich die Kälte, die von ihm ausging. Als würde ich das Gesicht eines längst Verstorbenen berühren.
Ich habe versagt , erreichte mich Kastors Gedankenstimme wie ein fernes Echo. Ich konnte ihn nicht töten, ansonsten wäre auch Mila gestorben. Zumindest ist es mir gelungen, ihn zu verletzen und die Aschepforte zu zerstören. Um Nikolais Hülle und denjenigen, der in ihr Zuflucht gefunden hat, musst du dich kümmern, Samuel.
Das werde ich, das verspreche ich dir.
Voller Erleichterung antwortete ich ihm auf mentalem Wege. Vielleicht war doch noch ein Rest Schattenschwinge in ihm. Vielleicht gab es noch Hoffnung … Aber dann öffnete Kastor die Augen und meine Hoffnung erstarb. Seine Iris hatte sich ebenfalls verdunkelt, nicht mehr als ein schwaches Glimmen war geblieben. Nur noch wenige Sekunden, dann würde es vollends erlöschen.
Ich hätte ihm in diesem Moment gerne vieles gesagt, darüber, wie dankbar ich war, ihn getroffen zu haben, und was für ein großartiger Freund er war. Stattdessen konnte ich eine Frage nicht zurückhalten: Hat Mila den Wechsel überlebt?
Als ich sagte, notfalls würde ich das Mädchen töten, um meine Rache zu bekommen, habe ich ihn getäuscht. Dazu wäre ich niemals imstande gewesen. Mila lebt, aber sie ist bei ihm. Es tut mir leid.
Leid.
Leid.
Leid …
Wie ein Hall, der sich immer weiter entfernt, wanderte dieses Wort durch mein Innerstes. Dann erstarb es und mit ihm das rötliche Glimmen in Kastors Augen.
Ich hielt sein erkaltetes Gesicht in meinen fiebrigen Händen und widerstand dem Verlangen, ihm zu folgen. Dorthin, wo Schwarz und Weiß sich miteinander vereinten und einen alles vergessen ließen. Es war schwer, es nicht zu tun. Mein Körper kämpfte gegen die Vergiftung durch das unvollendete Sklavenzeichen an, jeder Knochen, jeder Muskel, jeder Flecken Haut war zum Kriegsschauplatz geworden. Noch schlimmer waren jedoch die Trauer und Hoffnungslosigkeit, die mich überkam, während ich neben meinem toten Freund kauerte, dessen schwarze Hülle von feinen Rissen, Spinnfäden gleich, durchzogen wurde.
Schwarz und Weiß. Dazu also wurden wir, wenn das Leben uns verließ.
Ich hatte es gesehen, für einen kurzen Augenblick.
Rasch breiteten die weißen Fäden sich aus, feine Risse, die sich rasch durch den Beton fraßen, Spalten gruben, bis die Bodenplatte aufplatzte, als hätte ein Erdbeben sie heimgesucht.
Unvermittelt erklangen Schritte neben mir und mit ihnen kehrten die Welt und ihre Geräusche zurück: Schreie und Wehklagen der vom Feuer Verletzten, ein bedrohliches Ächzen und Knarren im Dachgebälk, als fügte die plötzliche Abkühlung den Stahlträgern den entscheidenden Schaden zu, der sie zum Einsturz bringen würde, aber auch Sirenengeheul. Wir würden nicht mehr lange allein sein.
Ranuken ließ sich neben mir zu Boden fallen, die Nase laut hochziehend.
»Ich habe versucht, zu euch durchzudringen. Wirklich! Aber es war unmöglich, ich hätte mich in eine lebende Fackel verwandelt. Die Feuerwände haben sich auf ihrer Suche nach Nahrung immer weiter ausgebreitet, die gesamte Halle hatte sich in ein einziges Inferno verwandelt. Ich kam nicht zu euch durch. Ich musste warten, bis die Flammen verschwunden waren. Dabei war die Warterei fast genauso schlimm, wie zu verbrennen. Glaubst du mir, Sam? Ich bin kein beschissener Feigling, der seine Freunde im Stich lässt und erst aufkreuzt, wenn das Schlimmste vorbei ist.«
Das weiß ich doch, wollte ich ihm versichern, aber es gelang mir nicht. Meine Stimme verlor sich irgendwo auf dem Weg zu meinen Lippen.
Als Ranuken zu Kastors leblosem Körper hinüberblickte, erstarrte er. »Kastor ist … erloschen?«
Ich nickte, dann zog ich meine Hände zurück und musste zusehen, wie Kastors Gestalt zu Staub zerfiel. Denn aus Staub bist du gemacht, dachte ich bitter. Die Risse im Boden sprangen zentimeterweit auf, verschlangen die Asche, breiteten sich gierig weiter aus, während Ranuken sichtlich um sein Gleichgewicht kämpfte.
»Dieser sture Grieche und seine Rache. Jesses, was
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