Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Weitem, seine Iris glich einem brennenden Rad, und seine Haut schimmerte wie polierte Bronze. In der Hand hielt er Sams Katana, dessen Bernsteinklinge leuchtete, als wäre sie frisch aus der Glut gezogenes Eisen. Mit einem raschen Schritt trat er neben Sam und riss ihm die schwarze Klinge aus der Hand. Als Sam, der sich vor Erschöpfung kaum noch aufrecht halten konnte, danach greifen wollte, betrachtete Kastor ihn mit einem unlesbaren Ausdruck, dann schlug er ihn nieder.
»Was tust du da?«, schrie ich, während Sam ohnmächtig zu Boden fiel. Zugleich verebbte auch das Pulsieren des Rings, oder es lag an meinem Schock, denn ich war fassungslos ob dieses Gewaltakts.
Kastor war Sams Freund – wie konnte er ihn niederschlagen? So heftig, dass mein Ring erstarb?
Ich wimmerte in meiner Hilflosigkeit auf, Kastor jedoch beachtete mich nicht, sondern fixierte Nikolai, der in meinem Rücken stocksteif geworden war.
»Ich habe damit gerechnet, dass wir einander wiedersehen würden«, sagte Nikolai. »Allerdings ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Könntest du mich vielleicht ein anderes Mal mit deinem Rachebedürfnis heimsuchen?«
Statt einer Antwort brachte Kastor sich mit dem Katana in der einen und der Obsidianklinge in der anderen Hand in Angriffshaltung.
»Das ist übrigens meine Klinge, es würde dir bestimmt nicht gut bekommen, sie gegen mich einzusetzen. Vor allem da du nicht die geringste Ahnung hast, wie mit der zerstörerischen Energie umzugehen ist, die sie in sich bündelt. Als Waffe ist sie eine Nummer zu groß für dich, mein alter Freund. Und außerdem … du hast bestimmt schon bemerkt, dass ich das Mädchen in meiner Gewalt habe, für das dein Freund alles aufzugeben bereit ist?«
»Mila interessiert mich nicht«, sagte Kastor mit tonloser Stimme. »Wenn du sie als Schutzschild benutzt, werde ich sie ohne zu zögern töten, um an dich zu gelangen, du armseliger Mörder. Nichts steht zwischen mir und meiner Rache.«
Dann griff er an.
Mit einem Fluchen stieß Nikolai mich beiseite, als ihm klar wurde, dass ich als Pfand nutzlos geworden war. Überaus geschickt wich er Kastors Schwertstreichen aus. Zuerst dachte ich, der unbewaffnete Nikolai würde sich des Angriffs nicht lang erwehren können, doch offenbar brachte ihm seine stärkere Aura den entscheidenden Vorteil. Es gelang ihm stets im letzten Moment auszuweichen.
So oder so, der Kampf war für mich nebensächlich.
Ich krabbelte zu Sam und drehte ihn auf die Seite, wobei mir sein lebloser schwerer Körper Probleme bereitete. Von ihm ging nicht das leichteste Lebenszeichen aus, kein Zucken der Lider, kein Hauch, der über die Lippen ging. Stattdessen stieg nur der Geruch von verdorbenem Fleisch auf, der mir Übelkeit verursachte. Die Schnitte auf seiner Brust waren schwarze aufgeworfene Gräben, in denen eine Entzündung schwelte. Das unvollendete Zeichen vergiftete ihn. Panisch suchte ich seinen Puls, der viel zu schwach war, so schwach, dass er mir fast entgangen wäre, genau wie ich das Pochen des Rings kaum mehr wahrnahm. Ich wollte seinen Namen rufen, ihn anflehen, bei mir zu bleiben, doch meine Stimme versagte.
Hinter mir hörte ich Kastors Schmerzensschrei und warf einen hastigen Blick über die Schulter. Irgendwie war es Nikolai gelungen, ihm das Katana aus der Hand zu schlagen, sodass es in einem hohen Bogen davonflog und in meiner Nähe aufschlug. Am ganzen Leib zitternd, taumelte Nikolai zurück, seinen rechten Arm umklammernd, in dem ein großer Schnitt klaffte. Offenbar hatte er mit dem Unterarm einen Schwerthieb abgewehrt, und nur der Strahlkranz seiner Aura hatte ihn davor bewahrt, den Arm zu verlieren. Sein Blick huschte zu der wirbelnden Aschewolke, in der seine Pforte lag. Falls er die Flucht in die Sphäre in Erwägung zog, so fehlte ihm schlicht die Gelegenheit dazu.
Drohend trat Kastor auf ihn zu, die Obsidianklinge auf ihn gerichtet. »Ich habe zwei Rechnungen mit dir offen: eine als Freund des wahren Nikolais, den du auf dem Gewissen hast, und eine als Schattenschwinge. Leider kann ich dich nur einmal töten – und das werde ich dafür tun, dass du es wagst, die Aschepforte zu benutzen. Du wirst Nikolais Pforte kein weiteres Mal mit deiner Anwesenheit beschmutzen, dafür werde ich sorgen.«
»Tut mir leid, aber nicht einmal das wird dir gelingen.«
In letzter Sekunde rettete Nikolai sich mit einem Ausfallschritt vor der niedergehenden Klinge, rollte sich über dem Boden ab und kam unweit von mir auf die
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