Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
starrte uns mit einer Mischung aus Verwirrung und Faszination an, wobei sein Blick zwischen Asamis Schwingen und dem leuchtenden Katana hin und her pendelte. »Was machen Sie denn da?«
»Ihre Erinnerung umformen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Asami, würdest du bitte?«
Die jäh weich werdenden Gesichtszüge des Wachmanns verrieten, dass er bereits dabei war.
∞∞
Mit Rufus’ geliehenem Wagen fuhr ich durch die morgendlichen Straßen von St. Martin, während Asami mit halb geschlossenen Lidern neben mir saß. Selbst in dem von mir geliehenen Karohemd, das ich zuvor über dem T-Shirt getragen hatte, sah er aus wie von einem anderen Stern. Die Allerweltsklamotten wirkten wie eine Verkleidung an ihm, sie unterstrichen seine Andersartigkeit. Nichts konnte Asami den Anstrich eines gewöhnlichen Menschen geben. Selbst wenn er seine Schwingen einzog und die Aura dämmte, war weiterhin zu spüren, dass die Verbindung zwischen ihm und der Menschenwelt schon lange durchtrennt war.
Den alten Ford hatte Asami zunächst angesehen, als wäre er die Hölle auf vier Rädern, vor allem weil man nur mit geschlossenen Schwingen in ihm sitzen konnte, aber mittlerweile nahm er die Fahrt gelassen. Dabei halfen ihm offenbar die offenen Fenster, durch die der kühle Fahrtwind wehte, und der Klassik-Radiosender, den Ranuken mit der Absicht eingestellt hatte, Rufus in den Wahnsinn zu treiben. Strawinskys »Feuervogel« gefiel Asami sogar so gut, dass ich es durch den Ring zu spüren bekam. Seit ich mein Katana wiedergefunden hatte, war ich milde gestimmt, weshalb es mich nicht weiter störte. Vielmehr sah ich in der Verbindung zu Asami auch eine Möglichkeit, Mila zurückzuholen.
Der Gedankengang, der sich dahinter verbarg, mochte wirr sein, aber nicht abwegig. Werke aus Bernstein hatten eine eigene Seele, und Milas Ring war verstummt, als sie sich mit einem Schnitt von ihm getrennt hatte. Verstummt, aber nicht gestorben. Er hatte sich Asami angedient, der mich auf seine ganz eigene Weise liebte. Wie ein Samurai eben seinen Herrn liebt – so zumindest verstand ich es. Auf jeden Fall hatte der Ring mir für meine Suche einen Vertrauten an die Seite gestellt, der nicht nur eine der mächtigsten und erfahrensten Schattenschwingen war, sondern der mir durch unsere Verbindung auch half, die körperliche Schwäche, die mich nach dem Fieber ergriffen hatte, auszugleichen. Durchaus möglich, dass der Ring plante, auf diesem Weg zu seiner eigentlichen Besitzerin zurückzukehren. So musste es sein, und deshalb fühlte sich die Verbindung zu Asami auch lediglich wie ein schwacher Abklatsch meiner Gefühle für Mila an.
Prüfend warf ich einen Seitenblick auf Asami. Tatsächlich, meine anfängliche Wut war verraucht, genau wie der Widerwille, ihn in meiner Nähe zu haben. Der Wind spielte mit seinen schwarzen Haaren, während seine Lippen sich im Takt der Musik bewegten, geradezu als könnte er ihn schmecken.
»Du bist mir echt ein Rätsel, Asami. Da verachtest du alles, was von den Menschen geschaffen wurde, aber bei Musik wirst du schwach. Du verheimlichst deine Leidenschaft ja nicht einmal. Schande über dich.«
»Musik ist nicht menschlich, sondern göttlich. Und dem Göttlichen sind wir Schattenschwingen eindeutig näher dran als die Sterblichen, deren Ehrgeiz lediglich darin besteht, solche Musik in Form zu gießen, um sie zu konsumieren. Begreifen tun sie dieses Werk wohl kaum.«
»Aha.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Asami, der Beinah-Göttliche. »Hinter der Musik, die gerade läuft, verbirgt sich übrigens eine ziemlich abgefahrene Geschichte. Ein junger Prinz … den Namen habe ich vergessen … ist auf der Suche nach seiner Prinzessin und gerät in einen verzauberten Garten, in dem er einen Feuervogel fängt. Das ist ein Fabelwesen, dessen Gefieder in den Farben des Feuers schimmert. Als Dank für die Freilassung des Vogels erhält er eine Feder. Und dieses Geschenk rettet ihm später im Kampf gegen den Zauberer, dem der Garten gehört, das Leben.« Unwillkürlich hielt ich inne. Der Ausgang der Geschichte entsprach genau dem, den ich mir auch für mich wünschte. »Der Feuervogel führt den Prinzen zu einem Ei, in dem die Seele des Zauberers gefangen ist. Der Prinz zerschlägt es und bricht damit den Bann, der über dem Garten und über seiner Prinzessin liegt.«
Da Asami daraufhin nichts erwiderte, schwiegen wir eine Weile. Dann sagte ich, obwohl ich wusste, dass mein Vergleich albern war: »Es ist ein
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