Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Bleicher, der Kraachten doch gerade noch zugesichert hatte, die Schmutzstory über mich zu bringen? »Sie sind also gar nicht neugierig, was Ihr Kollege gerade vorhatte? Wo ist denn Ihr journalistischer Ehrgeiz abgeblieben?«
»Was ich hier gerade gemacht habe, geht den Bleicher nichts an. Lass uns doch in Ruhe darüber reden, Samuel«, mischte Kraachten sich ein.
Der Hund nahm es ihm prompt übel, dass er seine Stimme erhob, und fletschte die Zähne, woraufhin Kraachten verstummte und sich nicht mehr rührte. Aber ich war noch nicht fertig mit ihm. Das hier war meine Chance, ihn endlich loszuwerden.
»Worüber wollen Sie denn mit mir reden, Kraachten? Über dieses angerußte Schwert aus dem Trödelladen unten am Strand, das Sie gerade vor meinen Augen im Schutthaufen versenkt haben? Ziehen Sie das Ding mal schön wieder raus, die Nummer hätte Ihnen doch eh keiner abgenommen. Warten Sie mal, ich mach ein Foto davon.« Ich sprach schön laut und deutlich ins Handy hinein, bevor ich es als Fotoapparat benutzte.
»Habe ich es mir doch gedacht!«, brüllte Bleicher. »Die ganze Story ist fingiert, das war doch abzusehen. Kraachten, in der Branche fassen Sie keinen Fuß mehr, so was spricht sich rum. Sie werden bis an Ihr Lebensende fürs ›Treibgut‹ arbeiten. Ha, nicht einmal das. Dafür sorge ich.«
Ich drückte den aufgebrachten Mann weg und machte eine Aufnahme von dem verdrießlich dreinblickenden Kraachten mit dem verrußten Schwert. Ruckzuck ging das Foto an Bleicher und andere Blätter, deren E-Mail-Adressen ich in den Kontakten finden konnte, mit dem Betreff »Joffe Kraachtens Recherchemethoden« raus.
»Samuel«, flüsterte Kraachten beschwörend. »Ich habe genug Material gesammelt, um dich fertigzumachen. Und selbst wenn das nicht reichen sollte, werde ich so lange an deinen Fersen kleben, bis ich beweisen kann, dass bei dir etwas nicht stimmt.«
»Bei mir stimmt alles, aber bei Ihnen nicht, wenn Sie mich fragen.« Ich packte ihn an der Jacke und zog ihn auf die Beine. »Das ist jetzt das letzte Mal, dass ich Ihre Visage zu sehen bekomme, Sie werden sich künftig von mir fernhalten und auch von den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Ansonsten werde ich mal klären, ob man wegen der getürkten Story, die Sie über mich angeboten haben, nicht Anzeige erstatten kann. Oder ich erzähle dem ›Treibgut‹ die Geschichte, wie ich von einem gewissen Journalisten gestalkt wurde.«
Bei der Drohung, mich ans »Treibgut« zu wenden, knickte Kraachten endlich ein. »Nicht nötig, aus dir habe ich eh schon alles rausgeholt, mehr gibt deine Story nicht her. Ich werde mich nicht weiter damit beschäftigen. Von Stalken kann demnach gar nicht die Rede sein.«
»Wir sind uns also einig?«
Kraachten zog zwar eine Grimasse, als würde er in eine Zitrone beißen, nickte aber. »Keine Recherche und keine Artikel mehr über dich, versprochen.«
»Dann können Sie jetzt weglaufen.«
»Warum sollte ich weglaufen?«
Ich zuckte voller Unschuld mit den Schultern. »Na, ich kann den Hund doch nicht ewig am Halsband festhalten. Der mag Sie anscheinend nicht sonderlich, warum würde er wohl sonst knurren?«
Für seine wenig sportliche Statur legte Kraachten einen beachtlichen Kaltstart hin. Ich gewährte ihm einen Vorsprung, dann ließ ich den geifernden Hund los. »Guten Appetit«, rief ich dem davonstürmenden Tier nach, dann wendete ich mich der Halle zu.
22 Verschüttet
Nicht mehr lange, und hier würde es wieder von Reportern, Schaulustigen und dem Räumungsteam wimmeln. Solange sie sich jedoch noch in ihren Betten wälzten oder zum Frühstückstisch schleppten, würde ich nach meinem Katana und dem Ring suchen. Wenn es mir denn endlich gelang, den Boden zu betreten, auf dem Kastor ums Leben gekommen war. Der Staub, zu dem er zerfallen war, war Teil dieses Ortes geworden. Für die Menschen war diese Ruine ein Symbol des Schreckens, für mich würde sie immer ein Symbol der Trauer bleiben. Ich hatte bereits einige Menschen verloren – meine Mutter, die abgehauen war und meine Schwester und mich zurückgelassen hatte; Jonas und Sina, die nicht länger zu meinem Leben gehörten; aber noch nie war jemand gestorben, der mir nah stand. Noch wusste ich nicht, wie ich mit dem Verlust umgehen sollte … vielleicht würde ich nie dahinterkommen.
Ich gab mir einen Ruck und betrat den zerklüfteten Grund. Von geprägtem Bernstein geht ein Locken aus. Ein Ruf, genau wie der meines Katanas, dem ich jetzt folgte. Der Ring, der
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