Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
wird dir etwas Schreckliches antun, dich vernichten. Er kann das, er ist stärker als du. Lauf weg!
Genau das würde ich bestimmt nicht tun, ganz im Gegenteil.
Wut stieg in mir hoch. Wenn ich eine Sache hinter mir gelassen hatte, nachdem ich zum ersten Mal meine Schwingen geöffnet hatte, dann war das meine Unterlegenheit. Keinen Moment länger würde ich zulassen, dass dieser Mann Gewalt über mich ausübte.
»Halt den Mund, Jonas«, fuhr ich ihn an. »Dass du es überhaupt wagst, mich anzusprechen, nach allem, was du angerichtet hast! Ich habe deinen ganzen Dreck dermaßen über, deine Gewalttätigkeit, deinen Hass, deine Dummheit. Ich will kein einziges Wort mehr von dir hören! Halt dich dran oder es wird dir leid tun.«
Ob es meine Drohung oder der Ton in meiner Stimme war, wusste ich nicht zu sagen, auf jeden Fall gelang es mir, zu Jonas durchzudringen. Anders konnte ich mir sein abruptes Schweigen nicht erklären. Und nicht nur das – auch Asami sah mich mit vor Erstaunen hochgezogenen Augenbrauen an.
Was? , fragte ich gereizt.
Deine Aura hat sich eben auf geradezu erstaunliche Weise erholt. Asami lächelte schief. Dir kommt der einzige Vorteil zugute, den die Verbindung zu den Menschen mit sich bringt: Die intensiven Gefühle, die sie in uns wecken, stärken unsere Aura.
Jonas etwas zu verdanken, steht nicht gerade auf meiner Agenda , blaffte ich Asami an, der meine Reaktion gleichmütig hinnahm.
Allerdings passte sein Hinweis exakt zu Milas Behauptung, meine Aura würde aufleuchten, wenn wir miteinander schliefen. Ihre Erklärung hatte mir gefallen, sehr sogar. Mila … Obwohl ich dagegen ankämpfte, leuchtete ihr Gesicht vor mir auf. Und mit ihm das wunderschöne Lächeln, das sie mir zugeworfen hatte, während sie ihre verletzte Hand verbarg. Ich biss die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer zu brechen drohte. Meine Verzweiflung und Furcht um sie standen kurz davor, sich den Weg in mein Inneres freizusprengen, doch das durfte ich nicht zulassen. Wenn ich Mila finden wollte, dann musste ich mir jeden Gedanken an sie untersagen. Ansonsten wäre ich unfähig zu handeln – und genau das war es, worauf es jetzt ankam.
Entschlossen befreite ich das Katana von Stoff und Scheide, nicht auf das tollwütige Knurren achtend, das Jonas beim Anblick der Waffe von sich gab.
»Deshalb bist du also gekommen: Du willst mich richten. Weil ER mir die Augen für dein wahres Wesen geöffnet hat, weil ich IHM gehorcht habe. Nun bist du hier mit einem Schwert in der Hand, aber ich werde meinen Kopf nicht demütig vor dir senken. Du bist nicht mein Richter, Bursche. Dafür habe ich dich nicht in die Welt gesetzt!«
Ich begrüßte die Klinge, die mir mit ihrem Gesang antwortete, dann erst wandte ich mich Jonas zu. »Du nimmst dich zu wichtig. Ich verspüre keinen Hass auf dich, nur Abscheu. Außerdem … wozu sollte ich einen Mann richten, der sich selbst bereits in die Hölle gebracht hat? Du bist ein Gefangener, nicht nur auf dieser Station, sondern auch in deinem Kopf. Nachdem du jahrelang ein Sklave der Sauferei warst, bist du nun der willige Sklave einer Stimme. Schwer zu sagen, was von beidem idiotischer ist.«
Mit einem donnergleichen Schrei sprang Jonas auf mich zu.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Asami vorpreschen wollte, um mich zu schützen. Halt dich zurück , wies ich ihn an, um im nächsten Moment den Aufprall meines Vaters abzuwehren.
Jonas’ Gewicht riss mich fast von den Füßen, weil ich mich zur Seite drehen musste, damit er mir nicht geradewegs in die Klinge lief. Sein Angriff glich einem Selbstmordkommando, denn das auf ihn ausgerichtete Katana konnte er unmöglich übersehen haben. Jonas selbst hielt sich nach unserem Zusammenprall nur deshalb auf den Beinen, weil er an Dr. Felsenbruck Halt fand, in dessen Gesicht es aufzuckte, dann hatte Asami ihn bereits wieder unter Kontrolle. Während Jonas sich schwer keuchend in Stellung brachte und seine Fäuste hob, gab ich Asami mein Katana. Sicher war sicher. Gerade noch rechtzeitig wich ich Jonas’ Schlägen aus, die zwar viel zu langsam kamen, aber hinter denen dennoch eine ungeheure Kraft steckte. Jonas torkelte, der Schweiß brach ihm aus und er begann erneut mit seinem wirren Selbstgespräch. Doch all das konnte ihn nicht davon abhalten, mich wieder anzugreifen. Er handelte wie unter Zwang, als wäre er ein Stier und ich das berühmte rote Tuch.
Unvermittelt verspürte ich einen Stich.
Dieser Wahnsinnige war mein Vater, gleichgültig
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