Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
was ich empfand. Es ließ sich nicht leugnen, er gehörte mit zu meinem Weg – einem Weg, von dem er erlöst werden wollte. Sein Hass auf mich war das Einzige, das ihn noch auf den Beinen hielt. »Du irrst dich. Ich werde dich nicht richten, sondern dich von deinem Schicksal erlösen«, sagte ich, als er gerade Atem für den nächsten Angriff nahm.
Jonas fixierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen, mehr ein wildes Tier als je zuvor, dann holte er zu einem Schlag aus, in den er seine gesamten Kraftreserven steckte. Ich sah seine Faust näher kommen, ahnte, dass sie mir den Schädel zerschlagen würde, wenn sie ihr Ziel fand. Doch in der letzten Sekunde wich ich aus, war schneller an Jonas’ Seite, als der reagieren konnte, stieß ihm mein Knie in den Magen, sodass er auf alle viere sank, und rammte ihm dann meinen Ellbogen in den Nacken. Bevor er endgültig in sich zusammensackte, packte ich sein zerzaustes Haar und riss seinen Kopf nach hinten, sodass die Kehle freilag.
»Mein Katana«, bat ich Asami und streckte blind die Hand aus.
Ohne das geringste Zögern legte Asami den Griff des Schwertes auf meinen Handteller und ich schloss die Finger um ihn.
Dir sollte klar sein, dass unsere Spur in dem Moment, in dem du seine Kehle durchschneidest, verloren ist. Darauf wollte ich dich hinweisen, bevor du tust, was du tun musst.
Asami konnte wirklich gnadenlos sein.
»Keine Sorge, diese Spur gehört uns. Ich werde den Weg zu Nikolai finden und Jonas zugleich die Erlösung zukommen lassen, die ich ihm versprochen habe.«
»Mach schon, bringen wir es hinter uns«, krächzte Jonas.
Das hatte ich definitiv vor, nur auf eine gänzlich andere Weise, als sie Asami und Jonas vorschwebte.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich.
Vor gar nicht allzu langer Zeit war ich im Haus meines Vaters bereits einmal auf den Silberstaub gestoßen, der mit der Pforte des Schattens – dem Reich der Träume – einherging. Ein solcher Hauch von Silberstaub musste auch jetzt in Jonas stecken; ich musste ihn nur hervorlocken. Während Jonas’ Keuchen stetig zunahm, ließ ich meine Aura aufleuchten, genoss einen kurzen Moment lang, wie sie mich umschmiegte und wärmte, als hätte ich viel zu lange in der Kälte gestanden. Allerdings fühlte sie sich anders an als sonst, sie kam nicht so leicht aus mir hervor, und die Ausläufer des Strahlenkranzes hatten sich schwärzlich verfärbt – ein Zeichen dafür, dass ein Teil meiner Kraft eigentlich Asami gehörte. Ich fragte mich, ob jede Schattenschwinge fähig war, einer anderen ein solches Geschenk zu machen, aber ich glaubte es nicht. Zwischen Asami und mir bestand eine besondere Verbindung – wir waren Licht und Dunkelheit. Kein Wunder, dass der Bernsteinring sich von ihm tragen ließ.
Meine aufleuchtende Aura tanzte über die blankgezogene Klinge des Katanas und wurde zurückgeworfen. Ein Netz aus Lichtstrahlen bildete sich, und in diesem Netz verfing sich der Silberstaub, der mit Jonas’ Atem aufstieg. Hauchfein setzte er sich auf der Bernsteinklinge fest und wies mir den Weg, den ich nehmen musste, um zu Nikolai zu gelangen. Die Flucht aus der einstürzenden Aschepforte war ihm also geglückt, und wenn sie ihm gelungen war, dann gewiss auch Mila. So musste es einfach sein: Mila lebte! Erleichterung machte sich in mir breit, dicht gefolgt von der Furcht, was Nikolai ihr wohl antun mochte. Ich musste mich beeilen.
Ich ließ das Katana sinken und zerschnitt auf diese Weise das Netz. Zugleich gab ich Jonas’ Hinterkopf frei und er fiel der Länge nach auf den Boden, wo er sich mühsam auf den Rücken drehte.
»War das etwa alles? Du mieser Dreckskerl! Tust so, als ob du mir die Kehle durchsäbeln willst, und dann … Willst dich wohl über mich lustig machen. Na warte, ich werde es dir zeigen. Werde dich zum Krüppel schlagen, werde dir …«
Schlagartig verstummte Jonas und streckte Arme und Beine von sich, als ich ein schwarzes Tuch über seine gesamte Vergangenheit legte. Nicht einmal die Erinnerung an seinen eigenen Namen ließ ich ihm. Er sollte frei sein, und dadurch würde auch ich es endlich sein. Als er die Augen öffnete und verträumt ins Leere blickte, wendete ich mich ab, denn ich wollte nicht, dass das Erste, was er in seinem neuen Leben sah, mein Gesicht war.
Komm, lass uns gehen.
Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende geführt, war Asami auch schon an meiner Seite, die Scheide des Katanas und den Stoff bereithaltend.
Genauso hätte ich es mit meiner
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