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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Krouk
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Energie der Lebenden, bis man genug hat, um zu einem Wiedergänger - einer Art Geist - zu werden, und dann weiter, bis man genug Energie hat, um die alte Form anzunehmen.«
    Evelyn betrachtete die Rosen vor der Veranda. »Aber er dürfte doch keine Verwandten mehr gehabt haben, um von ihnen die Kraft zu erlangen. Maria hat mir erzählt, dass die Nachzehrer sich nur auf diese Weise im Grab ernähren können.« Es war seltsam, dieses Wort laut auszusprechen. Damit wurde die neue Welt
für Evelyn ein Stück realer. Noch wusste sie nicht, ob sie das zulassen sollte.
    »Es müssen nicht ausschließlich Verwandte sein, bloß ist das einfacher, ganz besonders für Neulinge. Als Nahrungsquelle können alle Menschen dienen, zu denen ein Nachzehrer eine mehr oder minder starke Bindung hat.«
    Evelyn überlegte. »Wenn ich eine Nachzehrerin sein soll, warum kann ich mich nicht daran erinnern, gestorben zu sein? Wieso weiß ich nichts vom Ausbruch aus dem Sarg und von all den anderen Dingen?«
    Er warf ihr einen seitlichen Blick zu, den Evelyn nicht zu deuten vermochte. »Sind Sie denn eine?«
    »Bin ich keine?«
    Darauf antwortete er nicht. »Es ist ein traumatisches Erlebnis, das zu gern verdrängt wird. Viele Neulinge versuchen ihr normales Leben weiterzuführen, als wäre nichts geschehen.«
    Ich bin keine Untote!, wollte sie protestieren. Dieser Conrad glaubte nicht daran. Sie selbst glaubte nicht daran. »Der Punkt ist: Ich habe keine Menschen getötet. Ich brauche keine Lebenskraft der anderen«, sagte sie mit Inbrunst. Es fehlte bloß noch, dass sie mit dem Fuß aufstampfte. Wen versuchte sie hier zu überzeugen? Conrad oder sich selbst?
    »Da täuschen Sie sich. Mylady meinte, Sie sind Krankenschwester.« Evelyn schnaubte. Wann hatte die ihm das denn erzählt? »Wie viele Menschen sind
in Ihrer Gegenwart gestorben, als Sie ihnen die Energie nahmen? Unbewusst blenden Sie diese Momente aus.«
    »Aber keiner an Beulenpest!«
    »Es muss nicht die Beulenpest sein. Sie kommt, wenn wir schnell und unkontrolliert die Lebenskraft nehmen. Ansonsten leben die Menschen einige Zeit weiter und sterben an der Krankheit, an der der Nachzehrer verendet war. Die Beulenpest fällt zu sehr auf, und wir müssen vorsichtig sein.«
    Evelyn dachte an die alte Frau, die kurz vor der Entführung aus dem Krankenhaus gestorben war. Hatte sie der Armen die Kraft genommen? Hatte sie sich deshalb so erholt gefühlt? Nein, der Gedanke war zu ungeheuerlich.
    »Sind Sie auch tot?«
    »Seit Anfang 1832.« Als er weitersprach, klang seine Stimme noch leiser und erschreckend emotionslos. »Ich muss gestehen, der Tod war das Beste an meinem Leben.«
    »Aber Sie mussten Ihre Familie töten, um wiederzukommen.« Die Überlegung, ihre Mutter oder ihren Vater umbringen zu müssen, um selbst zu leben, schauderte sie. Wie sehr musste jemand leiden, um auf einen solchen Deal einzugehen?
    Eine Weile kam keine Antwort, und Evelyn dachte schon, sie sei wieder einmal zu weit gegangen. Doch dann hörte sie ihn sagen: »Es gibt Familien, bei denen das nicht weiter schwerfällt.«

    Als das Tor aufging, um den BMW durchzulassen, verspürte Evelyn Erleichterung. Conrads Gesellschaft machte sie ratlos und gleichzeitig auf eine seltsame Weise betroffen. Es gab nur wenige Menschen, mit denen Evelyn nicht umzugehen wusste, und dieser Mann gehörte dazu.
    Das Auto hielt vor der Eingangstreppe. Die Türen schlugen auf, Marias unbeschwertes Lachen erklang. Hinter ihr stiegen zwei Jungs im Teenageralter aus dem Wagen. Sie trugen Jeans, die ihnen um die Hüften hingen, umgedrehte Baseballcaps und weite T-Shirts, die um ihre schlaksigen Körper baumelten.
    Evelyn sprang auf, doch Conrads leiser Befehl fesselte sie auf der Stelle: »Halt!«
    Sie setzte sich zurück an den Sesselrand, den Rücken gerade, innerlich angespannt wie ein Bogen, und beobachtete, wie einer der Jungs Maria umarmte und die Hand unter ihren Rock schob. Die junge Frau lachte wieder - ganz und gar nicht ladylike, und küsste den anderen, der anscheinend mit der Situation weniger anzufangen wusste. Während der Erste weiter an ihr herumfummelte, öffnete sie die Tür und beförderte die beiden ins Hausinnere.
    Evelyn schaute fragend zu Conrad, doch er betrachtete ausdruckslos die Rosen. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, vielleicht mehrere Stunden oder nur wenige Minuten. Im Haus herrschte Stille. Nichts verriet, was drinnen vor sich ging.
    Conrad holte eine silberne Taschenuhr und klappte
den Deckel

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