Schattenseelen Roman
suchte. Er stellte sich vor, wie er zurück in die Stube laufen und dem Burschen die Zähne in die Kehle schlagen würde. Wie er Haut und Fleisch zerfetzte und an einem Blutschwall schluckte. Die animalischen Triebe benebelten seine Sinne, ohne dass er sich mit Akash verbunden hatte. Er musste etwas niederreißen, zerfetzen - er musste jagen und töten.
Die Gier nach Blut verdrängte die kläglichen Reste seines menschlichen Verstandes. Kilian kletterte aus dem Fenster und tauchte in die Nacht ein. Wie ein Schatten folgte ihm Akash.
13. Kapitel
E velyn saß im Waffenzimmer auf der Couch - das Khukuri griffbereit in ihrem Schoß. Sobald sie die Augen schloss, kehrte der Schrecken zurück und brachte die Bilder des Grauens. Hermanns verzweifeltes Gesicht, sein Flehen … Noch schlimmer war die Erinnerung an seine Augen, als er begriffen hatte, wie er sterben sollte. Was geschah mit ihr, warum musste sie all das miterleben? Hatte sie den Mord wirklich durch die Augen des Täters gesehen, oder spielte sich alles lediglich in ihrer Fantasie ab?
Wenn sie auch nur blinzelte, lockte die Dunkelheit sie, und die Schatten darin tranken von ihrer Angst und Verzweiflung. Tranken sie leer, bis nichts mehr in ihr blieb, abgesehen von einer trägen Stumpfheit. Sie sah den schwarzen Nebel, der auf sie zukroch, stand kurz davor, hineinzuschreiten. Gebannt starrte sie auf die dunklen Wogen, unfähig, sich zu rühren oder den Blick abzuwenden. Was erwartete sie dort? Würde sie sich vollkommen auflösen? Selbst zu einem Schatten werden?
»Hey.«
Evelyn schreckte zusammen und sah Adrián hereinkommen.
Er schritt durch den Nebel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte, und wirbelte die Schwaden herum, die in Sekundenschnelle verdampften, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb.
»Maria sucht das Haus und das Grundstück sicherheitshalber ab. Aber ich glaube, sie hat Recht mit ihrer Vermutung. Es war eine Art Tagtraum. Nachzehrer, die erst vor kurzem in ihr Dasein gerutscht sind, haben sich noch nicht mit dem Ausbleiben des Schlafes abgefunden und vermissen das Träumen. Sie wandeln auf der Grenze zwischen dem Schlaf und dem Wachsein und …«
»Geh bitte.«
Er blieb seitlich von ihr stehen. »Wie fühlst du dich?«
Sie hob das Khukuri und sah ihn in der Spiegelung der Klinge an. »Ausgezeichnet, was sonst. Maria hat ja wie immer Recht. Ich bin schlafgewandelt, habe in einem Tagtraum einen Schrecken gekriegt und bin aus dem Fenster gefallen. Passiert halt.«
Adrián setzte sich auf den Couchtisch. »Entschuldige. Ich weiß, ich bin kein guter Tröster. Frauentränen, Gefühle - all das ist nicht meine Welt. Da bin ich voll aufgeschmissen.«
»Dann geh einfach.«
» Caramba , ich will aber nicht gehen! Ich will dir helfen.«
Sie hob die Arme, auf denen sich die Kratzer von Glassplittern abzeichneten. »Dann bring das Verbandzeug her. Oder willst du mir die hier auslecken?«
Er drückte sanft ihre Hände. »Evy, vor mir brauchst du deine Angst nicht zu überspielen. Ich weiß, wie du dich fühlst …«
»Du weißt rein gar nichts.«
»Doch. Ich kann dich spüren, schon vergessen? Nicht immer, aber jetzt gerade ganz deutlich.«
Und ich - dich. Vor mir brauchst du deine Hilflosigkeit nicht zu kaschieren. Sie lächelte und registrierte, wie auch in seinen Augen etwas aufleuchtete.
Dann sag mir, was ich tun kann, damit es dir bessergeht.
Sie lächelte immer noch, beugte sich zu ihm und glättete mit den Fingern eine Furche auf seiner Stirn. »Nichts. Aber du könntest mir erklären, wie das hier funktioniert.«
»Was?«
»Die Telepathie. Die Tatsache, dass wir manchmal die Gedanken voneinander lesen.«
»Puh. Da sollte dich lieber Maria aufklären. Sie ist in solchen Sachen einfach besser. Von allen Berufen, die ich bereits ausgeübt habe, ist meine Tätigkeit als Lehrer besonders gründlich in die Hose gegangen. Dicht gefolgt von meiner Karriere als Sänger.«
»Ich frage aber dich.«
»Okay. Hm. Womit fang ich da am besten an … Also schön. Hattest du schon einmal Vorahnungen, die sich dann erfüllten? Kennst du so ein seltsames Gespür für Menschen oder Situationen?«
»Das kennen wohl die meisten.«
»Richtig, einige mehr, die anderen weniger. Das liegt an dem Âjnâ.«
»Entschuldige - woran?«
Er kämpfte sichtlich um passende Worte, dann gab er auf. »Du wirst es eher als Drittes Auge kennen. Und jetzt lach bitte nicht.«
Sie lachte trotzdem. Adrián zog eine gespielt-verärgerte Miene. »Das meinte ich mit
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