Schattenspäher
verfiel die Gruppe abermals in dumpfes Schweigen. Je Wen starrte in die Flammen, sang leise ein Arami-Lied vor sich hin. Eisenfuß hatte sich Timhas Ranzen vorgenommen und blätterte gerade durch ein Buch, dass der Unseelie mitgenommen hatte. Timha seinerseits fiel in Schlaf, als er den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte.
»Möchtest du ein Stück spazieren gehen?«, fragte Silberdun Sela.
Sie sah zu ihm auf und lächelte schwach. »Aber nur ein kurzes Stück«, erwiderte sie.
Sie entfernten sich langsam vom Lager, erklommen einen Hügel, von dem aus man die Ebene und das Gebirge sehen konnte. Die Berge wirkten pechschwarz im Mondlicht.
Silberduns Gefühle für Sela waren so kompliziert wie die ihrigen für ihn. Je länger er sie kannte, umso stärker wurde ihre Anziehungskraft für ihn. Sie war nachdenklich, einfühlsam und stark auf eine gar unerwartete Weise. Aber da war auch diese tiefe Finsternis, die hinter ihren Augen lauerte. An dem Abend, als sie sich das erste Mal getroffen hatten, hatte sie mittels Empathie in ihn geschaut, und er hatte sie von sich gestoßen. Diese Verbindung, sie hatte etwas Verzweifeltes an sich gehabt, und er hatte in diesem Moment nichts als Angst verspürt.
»Du bist heute so seltsam«, sagte Silberdun sanft.
»Die letzten Tage waren seltsam«, seufzte sie.
»Stimmt.«
Schweigen.
»Du warst eine Weile mit dieser Lin Vo allein im Zelt«, fuhr er schließlich fort. »Was hat sie dir gesagt, das dich so nachdenklich stimmt?«
»Ich weiß nicht, wie ich's erklären soll«, erwiderte Sela nach einer Weile. »Ich könnte dir ihre Worte wiederholen, bin mir aber nicht sicher, ob das irgendwie einen Sinn für dich ergeben würde. Und um die Worte geht's eigentlich auch gar nicht. Andererseits war einiges von dem, was sie sagte, nun ja, ich weiß nicht, ob ich's dir überhaupt sagen will. Sie ist eine sehr weise Frau, Silberdun.«
»Sie ist eine Seherin«, sagte Silberdun. »Die scheinen alle immer ziemlich weise, tragen aber nur in den seltensten Fällen zur Lösung eines Problems bei.«
»Nein«, widersprach Sela. »Sie wusste Dinge. Und sie sprach in einer nie gekannten Weise zu mir. Sie machte mich glauben, nur ich wüsste, wie man spricht.«
Da war sie wieder. Diese Finsternis. Was immer in Selas Kindheit auch geschehen war, was immer sie nach Haus Katzengold gebracht hatte, es lauerte wieder in ihren Augen.
»Wer bist du?«, fragte Silberdun.
Sela lehnte sich zu ihm und küsste ihn auf den Mund. Sie schloss die Augen. Im ersten Moment erstarrte Silberdun, doch dann entspannte er sich und erwiderte ihren Kuss. Sie öffnete die Lippen, wunderbar weiche Lippen. Doch es lag auch ein Zögern in ihrem Kuss, eine Art Verwirrung.
»Öffne dich mir, Perrin Alt«, flüsterte sie. »Lass mich dich fühlen.«
Silberdun wurde mulmig zumute, und er fühlte sich auch seltsam schuldig. Doch sie war so nah, fühlte sich so gut an ... Er löste die Bindung, die ihn vor ihrer Gabe schützte, und spürte, wie er in sie floss und sie in ihn. Da war Lust und Liebe und ein verzweifeltes Verlangen. Sie presste sich an ihn und er hielt sie fest. Sie stöhnte leise auf, grub ihre Fingernägel in seinen Rücken, als wollte sie ihn in sich hineinziehen.
Er fuhr mit den Fingern über ihre Schultern, berührte den filigranen Reifen um ihren Arm. Er fühlte sich heiß an.
»Warum trägst du dieses Ding noch?«, flüsterte er. »Ich dachte, das wäre nur für die Besucher von Orten wie Haus Katzengold.«
»Pst«, machte sie und legte seine Hand auf ihre Brust.
Sie sanken zu Boden, ihre Körper drängten sich aneinander, und es fühlte sich einfach wunderbar an.
Er wollte ihr das Mieder aufbinden, doch sie hielt ihn davon ab, wich sogar ein Stück zurück. »Nein, nicht. Ich kann das nicht.«
»Aber es ist ganz einfach«, sagte er. »Die Leute tun das Tag für Tag.«
»Ich nicht«, flüsterte sie. »Ich hab noch nie zuvor einen Mann geküsst, wurde noch nie auf diese Weise berührt.«
Die Empathie zwischen ihnen wurde erschüttert, und Silberdun legte seinen Arm um sie, küsste ihren Nacken, versuchte sie wieder für sich einzunehmen. Doch es war zu spät.
»Ich kann niemals mit dir auf diese Weise zusammen sein«, sagte sie.
»Aber warum denn nicht?«, fragte Silberdun, und die mögliche Antwort schnürte ihm die Innereien zusammen.
»Weil ich dich liebe«, sagte sie, »und weil du mich nicht liebst.«
Sie sprang auf und rannte zurück ins Lager. Wie betäubt blieb Silberdun am Boden
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