Schattenspäher
zunächst mal anhören, warum Everess mir Eure Anwesenheit zumutet, bevor ich zur Tat schreite.«
Everess lachte laute auf. »Ignoriert Ihn einfach, Paet. Silberdun wird Euch schon nicht töten.«
»Er kann's ja gern mal versuchen«, erwiderte Paet mit einem Schulterzucken.
Everess seufzte. »Aber, aber. So sollte dieses Treffen nun wahrlich nicht verlaufen. Paet, reißt Euch zusammen, und Ihr, Silberdun, haltet für einen Moment den Mund und hört mir zu.«
Paet und Silberdun sahen einander lauernd an. Silberdun missbilligte sein Gegenüber nicht halb sosehr, wie er vorgegeben hatte. Paets Missachtung war nichts im Vergleich zu dem, was ihm in Crere Sulace widerfahren war. Zum Beispiel seitens der Gefängniswachen, die man aufgrund ihres niederen Standes schon dafür hätte hängen können, dass sie einem wie Silberdun auch nur ins Gesicht blickten. Es war wichtig, den Schein zu wahren, damit man am Ende nicht noch für einen dieser lästigen Gesellschaftsreformer gehalten wurde. Dennoch war da etwas Besorgnis erregendes an diesem Paet ...
Everess räusperte sich. »Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, Silberdun, sprachen wir vorhin über die Schatten. Diese ›legendären Spione‹, wie Ihr sie genannt hattet.«
Silberdun zeigte auf Paet. »Wollt Ihr damit sagen, dass dieser Bursche hier ein Schatten ist?«
»Nicht ein Schatten«, sagte Paet. »Der Schatten. Es gibt dieser Tage nur noch einen. Mich.«
»Ist das wahr?«, fragte Silberdun.
»Ja, das stimmt.« Everess nickte. »Als die Organisation nach dem Vertrag von Avenus aufgelöst wurde, beschloss man, einen Schatten auf unbegrenzte Zeit in Diensten zu behalten. Falls man ihre Unterstützung eines Tages noch einmal benötigen sollte.«
»Und dieser Tag ist nun gekommen?«
»Für die Aufgabe, die nun getan werden muss, ist ein ganz besonderer Charakter vonnöten«, sagte Everess. »Und ich weiß, Silberdun, dass Ihr genau der richtige Charakter dafür seid.«
»Ich?«, fragte Silberdun. »Der ›unzivilisierte Unfreie‹, dem der Ruf vorauseilt, der erste Mönch in der Geschichte der Seelie zu sein, den man vor die Tür gesetzt hat?«
Paet lächelte Everess an. Unter den zugekniffenen Augen, die wohl ein typisches Merkmal Paets und keine Attitüde waren, wirkte das Lächeln irgendwie gedrückt. »Er wirbt nicht eben für sich selbst, Everess. Vielleicht ist er ja doch nicht der richtige Mann.«
»Doch, das ist er«, erwiderte Everess, der nun seinerseits die Augen zusammenkniff. Silberdun hatte den dumpfen Verdacht, dass dies kein gutes Zeichen war. »Und trotz seiner endlosen Proteste weiß er das auch. Er muss es nur noch einsehen.«
»Was denn? Wollt Ihr, dass ich ein Schatten werde? Dass ich das Szepter hier und jetzt von Paet übernehme, oder was?«
»Nein«, sagte Everess. »Ihr werdet eine kleine Gruppe Schatten befehligen. Die Organisation wird wieder ins Leben gerufen. Anführer Paet wird die Leitung der Informationsabteilung übernehmen und das Tagesgeschäft koordinieren, und Ihr, Silberdun, werdet zum obersten Schatten gemacht.«
»Ich soll für ... den da arbeiten?«, fragte Silberdun ungläubig und deutete auf Paet.
»Ihr werdet ihn brauchen«, sagte Everess.
»Mehr, als Ihr ahnt«, ergänzte Paet.
Silberdun starrte ihn finster an. »Tut Ihr immer so geheimnisvoll?«
Paet trat fest mit seinem Holzbein auf und erhob sich. »Ihr werdet in Kürze von mir hören«, sagte er.
Silberdun und Everess sahen ihm nach. Silberdun blinzelte, und der bekannte Effekt trat von Neuem ein: der Vordergrund verschwamm zum Hintergrund. Dann war Paet verschwunden.
»Interessanter Bursche, nicht wahr?«, sagte Everess schließlich.
»Kann nicht behaupten, ihn ins Herz geschlossen zu haben.«
Everess kicherte. »Gebt ihm Zeit, Silberdun. Paet ist ein guter Mann. Seine Vergangenheit hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist. Und dies alles für die Liebe zu den Seelie. ›Für das Herz der Seelie.‹ So hat es Mauritane doch einst genannt, nicht wahr?«
»Mauritane zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er andere sehr anschaulich davon zu überzeugen vermag, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.« Silberdun seufzte. »Insofern war das jetzt kein besonders gutes Beispiel.«
»Wie dem auch sei«, sagte Everess. »Wir brauchen Euch. Und offen gesagt, Ihr braucht uns auch.«
Silberdun lag eine Bemerkung auf der Zunge, doch er verkniff sie sich. Vielleicht ließ Everess ja endlich locker, wenn er nicht ständig aufbegehrte.
»Sagt mir eins«, begann
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