Schattenspäher

Ihr plötzlich ... leistungsfähiger seid als gewöhnlich, dann ist das sowohl erwartet als auch erwünscht. Es ist allerdings nicht möglich genau vorherzusagen, wann oder wie dieser Effekt eintritt.«
    »Und wie könnt Ihr Euch sicher sein, dass er überhaupt eintritt?«
    »Weil er bei frischgebackenen Schatten immer eintritt. So ist das nun mal.«
    »Davon hat Jedron aber nie was gesagt«, sagte Eisenfuß.
    »Ich gehe davon aus, dass die Hälfte dessen, was Jedron Euch erzählt hat, glatt gelogen, wohingegen die andere Hälfte schlicht irreführend war.«
    Das glaubte Silberdun ihm nur zu gern.
    »Seid einfach auf der Hut«, sagte Paet. »Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
    »Paet«, sagte Eisenfuß. »Als wir auf dieser Insel waren ... ist etwas sehr Seltsames passiert. Da war eine Grube, und es war schwarz -«
    »Ich weiß, was Ihr sagen wollt«, unterbrach Paet ihn. »Und ich fürchte, ich kann das Thema nicht weiter mit Euch erörtern. Was auf der Insel geschah, darf ich Euch nicht sagen. Es ist dies nicht der rechte Zeitpunkt.«
    »Und wann ist der rechte Zeitpunkt?«, hakte Eisenfuß nach.
    »Wenn es nötig ist.«
    Paet stand auf und bedeutete den beiden damit, dass die Unterredung zu Ende war. »Nun geht in die Schattenhöhle und wartet. Ich komme in Kürze mit den Missionsspezialisten zu Euch, und dann besprechen wir im Detail, was ich von Euch erwarte.«

16. KAPITEL
    Mag Mell ist ein Ort der Kreise und Spiegel. Eine Welt aus ringförmig angeordneten Inseln und runden Vulkanarchipelen. Außerhalb der Inselgruppe tobt die aufgewühlte See, innerhalb des Atolls sind die Gewässer friedlich. Keine Welle kräuselt sich auf dem Wasser, und weil der Meeresboden tiefschwarz ist, spiegelt sich auf der Oberfläche der Himmel perfekt wider. In Mag Mell sind Spiegel heilig; zerbricht man einen, zerstört man damit die Symmetrie des Lebens selbst.
    Mag Mell ist eine Welt der Trennung. Die Männer der Inseln wohnen in Holzhäusern an Land, während die Frauen unter der Wasseroberfläche leben, in Siedlungen aus Felsgestein und Tang. Allein im Zuge der Umwerbung und Empfängnis kommen Mann und Frau zusammen, verbringen ansonsten ihr Leben strikt voneinander getrennt.
    Die Kinder von Mag Mell kommen als zwittrige, amphibische Wesen zur Welt. Sie können sowohl im als auch außerhalb des Wasser leben, doch wenn sie die Pubertät erreichen, müssen sie sich auf ein Geschlecht festlegen. Dies geschieht im Rahmen einer besonderen Zeremonie, in der das Kind sich für männlich oder weiblich erklärt. Beschließt es, ein Mann zu werden, verbleibt es an Land. Nach einigen Monaten dann haben sich seine Kiemen zurückentwickelt, wohingegen der Körper alle männlichen Attribute ausgebildet hat. Entscheidet sich das Kind für ein Leben als Frau, wird es fortan im Wasser leben, während sich seine Lungen allmählich zurückbilden. Es heißt, dass, wenn ein eingeborener Mann in die Wasser von Mag Mell schaut, er die Frau erblickt, die er hätte werden können. Er kann ihr Fragen stellen, und sie wird ihm antworten. Mit all der Weisheit der Frau, die er nicht geworden ist.
    - Stil-Eret, »Mag Mell: Welt der Spiegel«,
    aus Reisen daheim und unterwegs
    Als Silberdun noch ein junger Bursche gewesen war, hatte er die Welt Mag Mell einmal besucht. Jetzt, wo er darüber nachdachte, war er sich ziemlich sicher, dass ihm das Haus auf der Insel Dureicth, in dem sie gewohnt hatten, gehörte. Oder zumindest gehören sollte.
    Silberdun hatte Mag Mell als warmen, hellen Ort in Erinnerung, doch als sie aus der Port-Herion-Schleuse traten, wurde er von gedämpftem Licht und einer kühlen Brise empfangen. Dann fiel ihm ein, dass das Portal auf Seiten von Mag Mell unterirdisch angelegt worden war. Als der Schleier der Portalreise sich allmählich auflöste, erkannte er eine lange Steinrampe, die zu einem stabilen Metalltor hinaufführte, das ebenfalls im Zwielicht lag. Von der Decke hingen Lüster, in denen starke Hexenlichter brannten, doch sie vermochten die düstere Atmosphäre, die hier herrschte, kaum zu vertreiben.
    Doch vielleicht lag es ja auch an ihm. Die Abordnung der Juwelier-Innung, die gleich nach ihnen durch das Portal trat, war jedenfalls in Hochstimmung. Lachend und schwatzend und über die Maßen geduldig hatten sie die Passkontrollen auf Faeseite über sich ergehen lassen - eine Prozedur, die eine Ewigkeit gedauert zu haben schien. Einer von ihnen redete sogar immer noch auf Silberdun ein und erzählte ihm vom Ziel seiner