Schattenspäher
im Atem des Mannes riechen.
Der Raum war klein, und die Luft war schlecht. Tye Benesiles Frau stand unschlüssig da; Misstrauen lag auf ihrem Gesicht. Benesile selbst nahm auf einem Stuhl aus gepresster Pappe Platz und bot seinen beiden Besuchern das zerschlissene Sofa an. »Falls Ihr Steuern eintreiben wollt, seid Ihr hier an der falschen Stelle«, sagte er. »Ich hab keine Arbeit. Und eigentlich sollte das auch in Eurem schlauen Büchlein stehen.« Er deutete auf Silberduns Notizheft.
»Wir sind auf der Suche nach Informationen«, sagte Silberdun. »Nicht nach Geld.« Er nahm einen Füllfederhalter aus der Tasche und zog die Kappe ab. »Wir wüssten gern, was Euer Vater gemacht hat, bevor er starb.«
»Mein Vater?«, sagte Tye. »Mein Vater war Gelehrter. Er hat an einer berühmten Universität studiert. Und auch das sollte eigentlich in Eurem Buch stehen ...«
Silberdun und Eisenfuß wechselten einen kurzen Blick. Silberdun versuchte es erneut. »Wisst Ihr zufällig, ob Euer Vater vor seinem Tod an etwas Bestimmtem gearbeitet hat?«
Tye Benesiles Augen weiteten sich. »Es heißt, er wurde in der Nacht von Plünderern getötet, als Ihr die Stadt überfallen habt. Aber ich wusste immer, dass es Mord gewesen ist. Ich hab's ihnen gesagt, als sie kamen ... hab ihnen gesagt, dass es hier nichts gibt, was sich zu plündern lohnt. Das war mal seine Wohnung, wisst Ihr. Er hat nicht mehr besessen als Bücher, und die waren keinen Kupferling wert.«
»Habt Ihr eine Ahnung, warum jemand Euren Vater hätte ermorden wollen?«, fragte Eisenfuß.
»Ich geh einkaufen«, sagte Tyes Frau. Sie trug einen Korb über dem Arm. »Hab gehört, es gibt heute vielleicht Eier auf dem Markt.«
»Dann geh«, sagte Tye ungehalten über die Unterbrechung. Sie stampfte mit dem Fuß auf und schloss mit einem Knall die Tür hinter sich.
Tye Benesile zeigte mit dem Finger auf sich. »Mein Vater wollte, dass auch ich auf die Universität geh. Meinte, wenn ich nur hart genug arbeite, könnte ich's schaffen. Aber das wollte ich nicht. Ich war jung; hatte keine Lust, etwas zu meinem Besten zu tun. Nun ist's zu spät, oder? Vater meinte immer, der Schnaps würde mein Hirn aufweichen, und das hab ich dann als persönliche Herausforderung verstanden.«
Silberdun seufzte, verdrehte die Augen. Das hier war ein fruchtloses Unterfangen. Doch Eisenfuß hob eine Hand. »Redet weiter«, forderte er Tye auf. Eisenfuß schien zu wachsen, als er die Worte sprach. Ach ja, die Gabe der Führerschaft, dachte Silberdun. Interessanter Bursche, dieser Eisenfuß.
Tye wandte sich sogleich Eisenfuß zu, schien Silberduns Anwesenheit im gleichen Moment völlig vergessen zu haben. »Wie ich schon sagte, alles was er hinterließ, waren die Bücher. Und ich weiß, dass die nicht viel wert sind, weil ich versucht hab, sie nach seinem Tod zu verkaufen. Hab nicht mal einen gefunden, der sie sich auch nur ansehen wollte. Manche sind sogar in anderen Sprachen geschrieben. Vater konnte auch Thule Fae lesen. Man stelle sich das nur vor! Gibt, soweit ich weiß, nur zehn oder elf Personen heutzutage, die Thule Fae lesen können. Und er war einer von ihnen. Er hatte sich zur Ruhe gesetzt, wie Ihr sicher wisst. Hat seine letzten Tage ganz mit Lesen und Schreiben zugebracht.«
»Hat er jemals mit einem anderen über seine Arbeit gesprochen?«, fragte Eisenfuß. »Bekam er vielleicht ab und zu Besuch?«
»Nur ein Mal. Von einem Mann«, sagte Tye Benesile. »Es war wohl ein anderer Gelehrter. Ein Unseelie. Das war natürlich vor dem Krieg und der Invasion und so. Na ja, mein Vater hat sich aber nicht auf diesen Gelehrten eingelassen. Er war von der falschen Sorte, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Silberduns Interesse war schlagartig geweckt. »Nein, ich fürchte, ich verstehe nicht«, sagte er. »Von welcher Sorte?«
»Schwarze Kunst«, flüsterte Benesile. »Das jedenfalls hat Vater gesagt. Ich hab den Mann nie gesehen. Aber wenn Vater Dinge wusste, die für einen Schwarzkünstler interessant sein könnten, dann schreibt das ruhig in Euer schwarzes Büchlein.«
»Wie war der Name dieses Mannes?«, fragte Silberdun. Er hielt es durchaus für möglich, dass unter den Unseelie Schwarze Kunst praktiziert wurde, wenngleich der junge Benesile nicht gerade der zuverlässigste Gewährsmann dafür war.
Tye dachte einen Moment lang nach. »Den Namen hat Vater nie erwähnt. Hätte er, würde ich mich auch an ihn erinnern. Hatte nämlich schon immer ein gutes Gedächtnis, selbst
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