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Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Sturges
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Arten, auf die man Lord Everess, mit dem, was ihr im Haus zur Verfügung stand, töten konnte. Der Mann war so fett und verweichlicht, dass sich zahllose Möglichkeiten eröffneten. Der schnellste Weg war wohl, ihm den silbernen Brieföffner direkt ins Auge zu rammen. Ein Sekundentod. Der schmerzvollste indes bestand darin, ihn im Salon zu fesseln, dann ein hübsches Kaminfeuer zu entzünden und das Schüreisen in die Glut zu halten, bis es hellrot glühte. Sie würde sich zuerst seine Augäpfel vornehmen, dann die Zunge, dann seinen Anus. Das hatte sie im Alter von dreizehn Jahren gelernt. Und dann gab da noch die Art und Weise, auf die sie Milla getötet hatte. Und den Doktor.
    Ach, Milla ... Aber sie war nicht echt. Nein, Milla war nicht echt gewesen. Der Doktor war nicht echt gewesen. Es war alles Täuschung. Alles Täuschung.
    Atme tief durch. Nicht nachdenken. Gute Mädchen denken nicht nach. Sie antworten nur.
    Wie dem auch sei, Paet war ihr tausend Mal lieber als Everess, und sie wünschte, sie könnte bei dem Anführer leben anstatt hier. Paet war einfach und geradeheraus. Er kannte den Schmerz, tiefen Schmerz, und das verband sie beide mittels eines tiefschwarzen dünnen Bandes, auch wenn Paet nichts davon wusste. Einmal hatte sie Everess gefragt, ob sie nicht bei Paet wohnen dürfe, und Everess hatte gelacht, als hätte sie einen grandiosen Witz erzählt.
    Manchmal war alles so verwirrend.
    Und dann Silberdun. Oje ...
    In Haus Katzengold lebte auch eine sehr wohlhabende Schauspielerin namens Sternenlicht, die das Opfer einer misslungenen Verjüngungsbehandlung geworden war. Ja, sie wurde nicht mehr älter, aber ihr Verstand hatte sich bei dem Verfahren in der Zeit verloren, und so hatte sie nie gewusst, welcher Tag gerade war. In einer ihrer helleren Momente hatte sie mit Sela über die Liebe gesprochen. Erst die Liebe mache alles interessant und lohnend, hatte sie gesagt. Leidenschaft. Romantik. Einen starken, gut aussehenden Mann zu halten und von ihm gehalten zu werden, umfangen zu werden von seiner Wärme und Gunst. Das wäre das Beste im Leben überhaupt.
    Sela hatte keinen blassen Schimmer gehabt, wovon Sternenlicht überhaupt sprach. Natürlich hatte sie von der Sache schon gehört, hatte die Bande der Liebe sich zwischen Leuten entspinnen sehen, in hellen leuchtenden Farben: rot und orange und golden, mal feurig glänzend, mal sanft glühend. Doch nie hatte sie diese Art der Liebe am eigenen Leib erfahren. Die einzige Person, die sie je geliebt hatte, war Milla. Und das war etwas völlig anderes gewesen.
    Als sie nach unten kam, wartete Paet im Salon auf sie. Lord Everess war nirgends zu sehen.
    »Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte er.
    »Oh, vielen Dank«, erwiderte Sela.
    Lord Tanen hat ein Geschenk für Sela. Sie ist zehn Jahre alt und kann sich nicht entsinnen, jemals ein Geschenk erhalten zu haben. Es ist klein, in Baumwollpapier eingeschlagen und mit einem echten Seidenband umwickelt. Lord Tanen lässt sie in ihrem Schlafzimmer Platz nehmen und stellt das Geschenk auf ihren Frisiertisch.
    »Öffne es«, sagt er. »Heute ist ein ganz besonderer Tag.«
    Aber Sela will es nicht öffnen. Die Verpackung ist so hübsch und die Vorfreude so köstlich. Sie sieht Tanen an, aber sein Gesichtsausdruck ist, wie immer, unmöglich zu lesen.
    »Habe ich Geburtstag?«, fragt sie.
    »Nein, heute ist nicht dein Geburtstag.«
    Ihr Herz beginnt zu hüpfen. War dies das Gefühl, das man empfand, wenn jemand einen mochte? Sie erinnerte sich an ihre Eltern, doch man hatte ihr viele Male gesagt, sie solle nicht an sie denken, und so waren die beiden allmählich aus ihrem Kopf verschwunden. Sie zieht sacht an der Schleife, und die löst sich mit einem kaum hörbaren Geräusch.
    Als das Band gelöst ist, öffnet sich das Papier wie von selbst und enthüllt ein kleines silbernes Kästchen.
    »Öffne es«, sagte Tanen. Mit zitternden Händen tut sie, was er sagt.
    In dem Kästchen befindet sich eine winzige Figur. Sie hat die Form eines Schwans. Er ist aus blau lackiertem Zinn. Da ist auch ein sogar noch kleinerer Zinnschlüssel dabei. Sie hebt den Schwan aus dem Kästchen, hält ihn sacht mit beiden Händen, dreht ihn hin und her.
    »Wie entzückend«, flüstert sie. Soll sie Tanen einen Kuss auf die Wange geben? In Büchern küssen die Töchter ihre Väter immer auf die Wange, wenn sie ein schönes Geschenk von ihnen erhalten haben. Aber Tanen ist nicht ihr Vater, und das hat er ihr viele Male auch gesagt.
    Am

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