Schattenspäher
Stiefeln auf feuchtem Untergrund. Hier in der Gasse vermengten sich die feuchte Erde, die dampfenden Körper und die rauchenden Schornsteine zu einem Aroma, das sich von allen anderen unterschied - dem unverwechselbaren Nach-dem-Regen-Geruch.
Das Kleid, das Paet ihr gegeben hatte, war einschnürend und unpraktisch. Auch hatte er ihr parfümierten Puder für ihr Gesicht und ihr Haar ausgehändigt und ihr rote Kreise auf die Wangen gemalt. Sie hasste es.
Am Ende der Gasse klopfte sie an eine Tür. »Was willst du?«, kam von drinnen eine gedämpfte Stimme.
»Bryla hat mich geschickt, hat sie«, sagte Sela. Sie sprach nun wie Ecara, in der Art, wie einfache Fae nun mal sprachen.
Die Tür wurde geöffnet. Vor ihr stand ein gedrungener Mann mit dicken Armen und Beinen. Seine Ohrspitzen waren silbergefasst.
»Hab aber heute Abend nach niemandem geschickt«, sagte der Mann.
Sela lächelte hilflos und hob die Schultern. »Bryla sagte, ich soll zu Enni gehen, und das hab ich gemacht«, sagte sie.
Sie grinste schief und wartete und wartete. Der Mann sah sie an. Sie wartete. Dann spürte sie ein Klicken, und dann war er da, der Faden - siedend und blutrot.
Es gab zwei Formen männlicher Lust, das wusste Sela. Die eine bestand in dem Wunsch, zu besitzen, zu ergreifen, sich etwas zu nehmen. Die andere äußerte sich in dem Wunsch, etwas zu öffnen und sich mit ihm zu vereinigen. Und das hier war eindeutig Ersteres.
Sela machte einen Schritt auf den Mann zu, und der Faden verstärkte sich. Manchmal, wenn er dick genug war, wusste sie plötzlich etwas von ihrem Gegenüber. »Du bist ... Obin, richtig?« Sie streckte die Hand aus, berührte seinen Kragen.
»Also gut, komm rein«, sagte Obin. »Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen, heute ist hier nichts los.«
»Wegen dem Regen«, sagte sie. Ja, das stimmte, Regen war schlecht fürs Geschäft.
Sie betraten einen engen Flur. Obin geleitete sie in einen kleinen Salon, in dem drei Frauen saßen. Sie waren alle schwer parfümiert und trugen wie Sela enggeschnürte Korsetts. Ein grünbraunes Netz aus Misstrauen und Verachtung entspann sich unter ihnen.
»Wer ist das?«, fragte die eine. Sie war dünn und blass, hatte dunkles Haar und zarte Hände. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe.
»Bryla hat sie geschickt«, sagte Obin. »Keine Ahnung, wieso.«
»Die kann doch nicht in so einer Nacht einfach hier reinspazieren«, sagte die Dunkelhaarige. »So was kostet mich bare Münze.«
»Na na, Perrine«, warnte Obin. »Wir wollen uns doch als Damen benehmen, oder?«
Zögernd nahm Sela auf einem kleinen Sofa Platz und wartete, wobei sie die Blicke der Frauen tunlichst ignorierte. Nach einigen Minuten ließ ihre Aufmerksamkeit nach, und sie begannen sich zwanglos miteinander zu unterhalten. Sela wartete.
Plötzlich klopfte es an der Tür, und Obin öffnete. Ein junger Zunftgenosse, nervös und überfreundlich, betrat den Salon und musterte die Frauen. Sela wartete, bis sein Blick sie fand. Als sein Faden erschien, stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen. Nicht ich, nicht ich. Sein Blick wanderte weiter, der Faden löste sich auf. Der Zunftgenosse entschied sich für die dunkelhaarige Frau, Perrine, und sie führte ihn durch einen Torbogen in einen der hinteren Räume.
Zwei weitere Männer trafen ein, die Sela ebenfalls von sich stieß. Eine Zeitlang war sie das einzige Mädchen im Salon. Obin versuchte, ein Gespräch mit ihr in Gang zu bringen, aber auch ihn stieß sie von sich, sodass er schon bald das Interesse verlor.
Nach etwa einer halben Stunde erschien Perrine in Begleitung des Zunftgenossen im Salon. Seine Augen waren glasig, auch lag ein dämliches Grinsen auf seinem Gesicht. Perrine wirkte ein bisschen verstört und schwankte auch ein wenig. Schwer ließ sie sich auf die Couch fallen und nahm sich eine Zigarette vom Tisch.
»Junge Männer«, sagte sie, nachdem der Kunde weg war. »Ich hasse diese nervösen Jünglinge.«
So saßen sie eine Weile da und schwiegen eisern. Dann klopfte es erneut, und endlich betrat der Mann den Salon, auf den Sela gewartet hatte. Er sah genauso aus wie auf dem Bild mit seinem weiten Cape, dem Gehstock und dem dicken Schnurrbart. Er verbeugte sich leicht vor der dunkelhaarigen Frau. »Lady Perrine«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Wie schön, Euch heute Abend zu sehen.«
Perrine lächelte und winkte, plötzlich wieder ganz wach und interessiert. Sie erhob sich, knickste, und Sela folgte ihrem Beispiel.
Der Mann drehte sich zu
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