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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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zu ihrem Gesicht.
    »Ich bin ja auch überhaupt nicht nervös, Nancy«, sagte sie.
    Das stimmte nicht, und sie wußte es. Sie war so nervös, wie es ein Mensch nur sein konnte, und ohne das Valium wäre sie wohl einfach weggelaufen. Die heutige Sendung war die dritte, die sie moderierte.
    »Am Anfang ist es immer am schwersten«, hatte der Produzent tröstend gesagt, als sie vor ihrer ersten Sendung wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl gekauert und die Kameras panisch angestarrt hatte. »Aber die ganze Sache wird immer mehr zur Routine, glauben Sie mir. Eines Tages ist es überhaupt kein Problem mehr.«
    Überhaupt kein Problem mehr! Manchmal dachte sie wütend: Was wißt ihr denn von meinen Problemen! Es wurde nicht besser, hatte sie den Eindruck, sondern immer schlimmer. Das Valium
war ein Teufelszeug, und so sehr sie es brauchte, so sehr haßte sie es auch. Es beruhigte an der Oberfläche, machte benommen und phlegmatisch und legte sich wie eine kühle Hand über die zuckenden Nervenenden. Aber innen kribbelte es weiter, da lag die Angst sprungbereit auf der Lauer, da war noch immer das Gefühl, schreien zu müssen – nur, daß die Valium-Glocke außen jeden Schrei verhinderte.
    »Nervosität kann man sich auch wirklich schenken«, sagte Nancy jetzt und legte noch etwas Gloss auf Natalies Lippen. »Ich meine immer, es bringt einem ja nichts. Man muß ja sowieso da durch, und man macht sich nur das Leben schwer, wenn man sich darüber aufregt.« Nancy hatte ihre eigene kleine Philosophie zu jedem Thema und gab sie bereitwillig zum Besten. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihr klarmachen zu wollen, das manche Menschen komplizierter strukturiert waren als sie.
    Jetzt band sie Natalie den seidenen Umhang ab, den sie ihr vorsorglich um die Schultern gelegt hatte und bürstete noch einmal kurz über das Kleid. »So. Fertig, Natalie!«
    »Danke, Nancy. Du hast es großartig gemacht, wie immer.« Natalie stand auf. Ich bin ganz ruhig, sagte sie beschwörend zu sich selbst, es kann mir nichts passieren, ich habe meine Tabletten in der Handtasche, und wenn es mir schlechtgeht, kann ich sie jederzeit nehmen.
    Während sie ins Studio hinüberging, hielt sie sich an ihrer Handtasche fest wie die Ertrinkende an dem berühmten Strohhalm.
    Claudine Combe, eine zarte, blonde, junge Frau, war noch nervöser als Natalie, und das gab der ein bißchen Ruhe zurück. Vor ihr saß kein internationaler, mit allen Wassern gewaschener Star, den die Tatsache, daß alles, was er sagte, gefilmt wurde, zu Höchstleistungen antrieb. Dieses hochsensible, begabte, zarte Ding brauchte Hilfe, wenn es die nächsten vierzig Minuten überstehen wollte. Freundlich und einfühlsam begann Natalie das Gespräch. Claudine, am Anfang noch völlig verkrampft, entspannte sich sichtlich und wurde immer lockerer. Das machte auch Natalie sicher. Sie wußte, sie war gut.

    Wäre gelacht, wenn das Valium mich klein bekäme, dachte sie, während Claudine gerade erzählte, weshalb sie Shakespeare zeitlebens geliebt hatte.
    Sie hätte das Wort »Valium« nicht denken dürfen. Die ganze Zeit über waren ihre Gedanken ganz und gar auf Claudine konzentriert gewesen, der sie immer wieder Hilfestellung geben mußte. Jetzt hatte sich das Mädchen freigesprochen, und für eine Sekunde hatte Natalie nicht aufgepaßt, hatte sich gehenlassen.
    Sofort schwemmte die Angst in ihr hoch. Sie kam mit all den schon vertrauten Symptomen: Schweißausbruch am ganzen Körper, zitternde Finger, weiche Knie, erhöhter Puls und eine zugeschnürte Kehle. In Natalies Ohren begann es zu rauschen, sie vernahm Claudines Stimme nur noch aus der Ferne. Verzweifelt blickte sie auf die große Studiouhr. Noch zwei Minuten, dann war die erste Runde vorbei. Bis die Minelli an die Reihe kam, würde sieben Minuten lang eine Jazzband aus New Orleans für Musik sorgen. Sieben Minuten... Zeit genug, rasch zur Toilette zu laufen und eine Tablette zu schlucken.
    Eine Tablette würde ihr rasch wieder auf die Beine helfen, das war gewiß. Wenn sie nur jetzt gleich... sie hatte ein Glas mit Mineralwasser neben sich stehen. Aber es war zu gefährlich. Wenn genau in diesem Moment die Kamera zu ihr hinüberschwenkte, würde es morgen in der Zeitung entweder heißen, daß die Moderatorin von »Weekly Adventure« Aufputschmittel nahm oder an einer schweren Krankheit litt. Sie schaute wieder zur Uhr. Noch eine Minute.
    Die Wände schienen auf sie zuzukommen. Das war das Schlimmste. Das passierte ihr manchmal in

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