Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
Deshalb tat es mir auch so leid, als ich merkte, wie schlecht Ihnen war. Geht es jetzt wirklich besser?«

    »Bestimmt«, versicherte Natalie. Sie schaute auf die Uhr. »Ich muß ins Studio zurück, in zwei Minuten ist die Minelli dran.«
    Beide Frauen kauerten sich auf den Boden und räumten die Handtasche ein. Natalie blickte hoch. »Sie müssen mir doch nicht helfen, Claudine.« Ihre Augen trafen die der anderen. Es war ihr vorhin nicht aufgefallen, daß Claudine grüne Augen hatte, grasgrün, mit kleinen goldenen Flecken darin.
    Wie wunderschön sie ist, dachte Natalie. Sie stand auf. »Ich habe alles, glaube ich«, sagte sie. »Vielen Dank, Claudine. Bleiben Sie eigentlich noch bis zum Ende der Sendung?«
    »Natürlich.«
    »Dann könnten wir vielleicht nachher noch irgendwo ein Glas Wein zusammen trinken. Wenn Sie Lust haben...«
    Claudine sah sie lange an. »Ich würde das sehr gern tun, Natalie.«
    »In Ordnung. Jetzt muß ich mich beeilen.« Schon war Natalie zur Tür hinaus. Die Tablette wirkte. Während sie den Gang entlanglief, fühlte sie sich hervorragend und voller Energie.
    2
    Marys Gesicht war so blaß und spitz, daß Natalie fürchtete, die Freundin werde jeden Moment in Ohnmacht fallen. Sie umklammerte ihre Handtasche so fest, daß die Knöchel an ihren Fingern spitz hervortraten. Ihr Blick wirkte gehetzt und beinahe panisch.
    Die beiden Frauen saßen in einem Taxi, das mitten im Londoner Verkehrsgewühl steckte und im Augenblick weder vorwärts noch rückwärts kam. Natalie lehnte sich vor und schob die Scheibe zurück, die sie vom Fahrer des Wagens trennte. »Schaffen wir es, bis um fünf Uhr in der Marylebone Road zu sein?« fragte sie.
    »Schwer zu sagen, Mam. Könnte aber noch klappen.«
    »Wir hätten doch den Bus nehmen sollen«, piepste Mary. Sie
hatte von Anfang an dafür plädiert, hauptsächlich deshalb, weil sie kein Geld für ein Taxi hatte. Aber Natalie war sehr energisch geworden. »Auf keinen Fall! Bei dem, was du vorhast, brauchst du deine Kraft, und es ist um diese Zeit der absolute Horror, mit dem Bus zu fahren.«
    »Aber...«
    »Ich bezahle das Taxi. Mach dir darüber bitte keine Sorgen!«
    »Wenn wir zu spät kommen«, sagte Mary jetzt, »überlegt es sich Madame LeCastell vielleicht anders.«
    »Bei dem Geld, das die kriegt«, erwiderte Natalie voller Überzeugung, »überlegt sie es sich ganz bestimmt nicht anders, da gehe ich jede Wette ein!«
    Für den Rest der Fahrt schwiegen beide. Es war ein klarer, trockener Dezembernachmittag, erste Dämmerung senkte sich über die Häuser, in den Fenstern gingen die Lichter an und spiegelten sich im Wasser der Themse. Die Fußgänger am Ufer schoben mit jedem Schritt raschelndes Laub vor sich her. Schon wieder Winter, dachte Natalie, in der Regent’s Street funkeln die Christbäume, und Harrod’s strahlt wie ein Palast aus Zuckerguß. Was für eine wunderschöne Stadt London doch ist!
    An jenem Abend mit Claudine war es spät geworden, erst gegen halb zwei war Natalie in ihre Wohnung zurückgekommen. Mehr aus Gewohnheit denn aus Interesse hatte sie den Anrufbeantworter abgehört. Als erstes meldete sich David. »Natalie, hier ist David. Ich rufe aus New York an, bin aber nächste Woche geschäftlich in London. Ich fände es schön, wenn wir uns zum Essen treffen könnten. Ruf mich doch zurück...« Es folgte eine Nummer.
    »Da kannst du lange warten«, sagte Natalie laut. »Gib es auf, David!«
    Als nächstes erklang Marys Stimme, panisch und viel höher als sonst. »Nat, bitte ruf mich an, so schnell du kannst! Ich muß unbedingt mit dir reden. Hier noch mal meine Nummer...«
    Natalie wagte es nicht, noch in der Nacht anzurufen, denn wahrscheinlich bekäme die arme Mary dann Ärger mit ihrem
furchtbaren Mann. Aber am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, wählte sie Marys Nummer.
    »Natalie, ich muß jemanden finden, der mir mein Kind wegmacht...«
    Die Angelegenheit erwies sich als außerordentlich schwierig, denn so sehr sie auch suchten, sie fanden keinen Arzt, der den Eingriff vornehmen wollte. In der für sie typischen weltfremden Art hatte Mary viel zu lange gewartet. Sie stand am Beginn der fünfzehnten Schwangerschaftswoche, und sie fanden niemanden, der nicht vor einem solchen Risiko zurückschreckte.
    Auch Nat wurde nervös und versuchte Mary deren Vorhaben auszureden, aber Mary fing nur an zu weinen, schüttelte den Kopf und sah sie so verzweifelt an, daß Natalie den Ernst der Lage begriff. Es gelang ihr,

Weitere Kostenlose Bücher