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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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winzige Untermietzimmer am Trafalgar Square, wo er durch die dünnen Wände den Fernsehapparat seiner Wirtin und das Schnarchen ihres Mannes hörte. Hatte er überhaupt noch etwas zu essen im Kühlschrank? Ein angebrochenes Glas Gewürzgurken, soweit er sich erinnerte, und einen Räucheraal, der von gestern übriggeblieben war.
    Er überquerte die Straße, ging unschlüssig weiter, wußte nicht wohin. Passanten hasteten an ihm vorbei, einer stieß ihm fast den Regenschirm in den Bauch. Er entschuldigte sich nicht.
    Wahrscheinlich, dachte Steve, sehe ich schon aus wie einer, bei dem man sich gar nicht mehr entschuldigen muß.
    Er kaufte bei einem Straßenverkäufer die »Daily Mail« und schlenderte weiter. Nur noch wenige Schritte und er stand an der Themse. Unergründlich dunkel schillerte das Wasser unter ihm. Ziemlich tief unter ihm. Ob man wohl tot wäre, wenn man hineinspränge? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war das Wasser tief genug, so daß man nicht aufschlug, und er konnte recht gut und ausdauernd schwimmen. Abgesehen davon war er zu feige, es noch einmal zu versuchen. Wer hatte ihn immer feige genannt? Gina, die scharfzüngige Gina, die die Begabung hatte, unangenehmen Wahrheiten auf die Spur zu kommen und sie erbarmungslos auszusprechen. Aber auch Gina irrte. Was hatte sie ihm noch prophezeit — eine aalglatte Karriere? Ja, siehst du, superschlaue Gina, wie anders die Dinge doch manchmal kommen! Der Mann mit der aalglatten Karriere steht an einem kalten Winterabend am Ufer der Themse und überlegt, ob es nicht besser wäre, das ganze beschissene Leben in den dunklen Wellen zu versenken. Aber feige wie er ist, wird er das nicht tun. Er wird sich morgen früh pünktlich um acht Uhr bei Miss Hunter melden und von nun an eifriger Diener zweier geltungssüchtiger Weiber sein, die unbedingt die Welt verbessern wollen. Obwohl hier am Wasser ein besonders kalter Wind wehte, und er in seinem dünnen Mantel erbärmlich fror, begann er unter einer Straßenlaterne in seiner Zeitung zu blättern.

    Nichts Besonderes war heute passiert. Erst eine kurze Meldung auf der vorletzten Seite weckte sein Interesse. »New York City. Auf den Chef des weltbekannten Bredow Imperiums, Andreas Bredow, wurde gestern Abend ein Attentat verübt. Noch herrscht Unklarheit über das Motiv des Täters. Er gab drei Schüsse auf Bredow ab, als der in Begleitung seines Erben und Vizepräsidenten von Bredow Industries, David Bellino, das Plaza Hotel in New York verließ, wo er sich mit den Vorstandsmitgliedern der amerikanischen Fluggesellschaften Pan Am und American Airlines zu einem Abendessen getroffen hatte. Der Täter feuerte aus beträchtlicher Entfernung und traf mit einem Schuß sein Opfer in die rechte Schläfe. Seitdem kämpfen die Ärzte um das Leben des vielfachen Millionärs.« Nun folgte Bredows sattsam bekannte Vita, die schöne Geschichte vom deutschen Waisenkind, das zu einem der reichsten Männer der USA wurde.
    Steve drehte sich um, schaute über das Wasser. »... kämpfen die Ärzte um das Leben des vielfachen Millionärs ...« Wenn Bredow starb, erbte David ein Vermögen. David, der immer nur seinen Vorteil im Auge hatte. Ihm würde ich sogar zutrauen, ein solches Attentat zu arrangieren, nur damit er sein Geld bekommt, dachte Steve haßerfüllt. Aber im Innern wußte er, daß das nicht stimmte und daß er es nicht wirklich glaubte. Nur der tiefe, unauslöschliche Zorn, den er für David empfand, gab ihm diese Gedanken ein.
    Er wollte David hassen, und er wollte ihm nicht gerecht werden. In Wahrheit war ihm klar, daß David nie heimtückisch handeln, daß er nie etwas planen würde, was einem Menschen schaden könnte. Er würde nur mit hängenden Armen dastehen, falls es zufällig passierte. Was ja beinahe auf dasselbe hinausläuft, dachte Steve feindselig. David hatte ihm zuviel angetan, als daß er wirklich versucht hätte, ihn zu verstehen. Es gab da Ahnungen in ihm, Ahnungen von Davids eigener Zerrissenheit, von seinen Abgründen, von seiner Hilflosigkeit dem Leben gegenüber. Aber Steve erlaubte seinen Ahnungen nicht, sich zu Gedanken zu formen. Er drängte sie in die unterste Schublade seines
Gemüts. Er haßte David — und er würde ihn hassen bis zum Jüngsten Tag.
    Steve knäulte die Zeitung zusammen und stopfte sie in einen Papierkorb. Dann schlug er den Mantelkragen hoch und stapfte, die Hände tief in den Taschen vergraben, weiter.
    Vor der nächstbesten Kneipe — »Excalibur« hieß sie — blieb er

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