Schattenspiel
Village.«
»Das nimmt kein gutes Ende«, murmelte Sally und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Es war August, New York stöhnte unter der feuchten Hitze, und Sally fing bereits am frühen Morgen an, sich zu betrinken. »Mit den Männern kommt man nie zurecht. Verbrecher, alle miteinander. Sollte sich keiner mit einlassen.«
Sie trank das Bier aus der Flasche, merkte nicht, daß große Teile danebengingen und auf ihren Rock tropften. Dieser scheußliche braungrünkarierte Rock, der um ihre breiten Hüften herum spannte, dessen Reißverschluß sie offenstehen ließ, weil ihre Taille inzwischen umlagert war von Speckringen. Laura betrachtete
ihre Mutter, wie sie da auf dem Stuhl saß, rechts und links quollen die Schenkel über den Rand, und ihr schwarzes Haar hing ölig und strähnig bis fast zum Kreuz hinab. Sie hatte es lieblos hinter die Ohren gekämmt und auf ihrem dunkelblauen, verfilzten Pullover häuften sich die Schuppen. Es war nicht Abscheu, was Laura empfand, wenn sie die großporige, aufgedunsene Haut der Trinkerin sah, das faltige Doppelkinn, wenn sie den scharfen Gestank nach Schweiß und Bier roch. Es war eher Angst. Würde sie einmal denselben Weg gehen wie ihre Mutter? Auf dem Foto, das Sally als Achtzehnjährige zeigte, war sie ein billig gekleidetes, aber sehr hübsches Mädchen, schlank und zart, mit einem frischen Teint und glänzenden Augen. Laura sah ihr sehr ähnlich. Noch zwanzig Jahre, dachte sie manchmal schaudernd, noch zwanzig Jahre, und ich biete dasselbe Bild wie sie.
»Zwischen Sid und mir geht alles gut«, sagte June, »ihr werdet es schon sehen.« Aber sie wirkte nervös, verängstigt. Sie hatte immer ein vorwitziges Mundwerk gehabt und eine bewundernswerte Respektlosigkeit an den Tag gelegt, aber irgendwann war das alles verlorengegangen. Die Art, wie sie andere ansah, erinnerte an einen halb furchtsamen, halb verschlagenen Hund. Im übrigen hätte es Laura durchaus verstanden, wenn sich June vor Sid fürchtete; sie selber fand ihn ausgesprochen abstoßend. Er lachte zu laut und wirkte brutal. Wenn er mit June kam oder ging, hielt er sie am Arm fest, eine Geste, die an einen Polizisten erinnerte, der einen Gefangenen abführt. Wenn er den Arm losließ, blieben tiefe, rote Abdrücke von seinen Fingern zurück. Oft, wenn June zu sprechen anfing, sagte er: »Halt’s Maul!« oder warf ihr einen Blick zu, der sie sofort verstummen ließ. Die meisten Männer behandelten ihre Frauen so, das wußte Laura, aber sie dachte oft, daß sie es einmal anders haben wollte. Sie hatte einen Liebesroman von Barbara Cartland gelesen, ein zerfleddertes Buch, das eine Freundin ihr geliehen hatte, und einen Mann wie den dort beschriebenen Helden erträumte sie sich. Galant, liebevoll, zärtlich, immer bereit, für sie zu sorgen. In den Nächten, in denen sie nach ihrer Mutter suchte, an den
langen, trostlosen Nachmittagen, da sie angstvoll lauschte, ob ihr Vater nach Hause käme, wenn sie hinunter in den schmutzigen Hof starrte, wo lederbekleidete Halbstarke die kleinen Kinder tyrannisierten, wurde sie nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Ich muß hier fort! Ich muß hier fort!
An jenem heißen Augusttag machte sie übrigens ihre erste nähere Bekanntschaft mit Sids zweifelhaftem Charme. Sally hatte sie geschickt, Zigaretten zu holen, und als sie vom Automaten zurückkam und die Haustür mit der halb zerbrochenen, staubblinden Glasscheibe aufstieß, stand plötzlich Sid vor ihr. Riesig wie er war, schien er den ganzen Flur auszufüllen. Er trug enge, verwaschene Jeans und ein Unterhemd aus Netzstoff. Auf den muskulösen Oberarm hatte er sich ein Schwert tätowieren lassen, von dessen Spitze Blut tropfte. Seine goldenen Ringe blitzten. »Hallo, Laura«, sagte er und grinste.
»Hallo, Sid«, erwiderte Laura nervös und wollte rasch an ihm vorbeihuschen.
Er machte einen Schritt zur Seite und versperrte ihr so den Weg. »Wohin willst du denn?«
»Nach oben. Mum wartet auf ihre Zigaretten.« Laura fühlte sich bedroht, aber sie bemühte sich, keine Furcht zu zeigen.
»Deine Mum wird sicher nicht traurig sein, wenn du ein bißchen später kommst«, sagte Sid. Er drängte Laura an die Wand. Sie konnte sein widerliches, viel zu süßes Aftershave riechen, das sich in der Hitze des Tages besonders stark verströmte. »Du bist ein verdammt hübsches Mädchen, Laura. Viel hübscher als June. Wußtest du das?«
»Nein.« Ihre Stimme klang gepreßt.
Sid kam noch näher. Seine goldenen
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