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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hielt ihn fest an sich gepreßt und streichelte ihn sanft. Ich werde dich nie vergessen, dachte sie, voller Schmerz darüber, daß sie ihn verlieren würde, nie, solange ich lebe.
    3
    Laura traf den Fotografen Barry Johnson an einem eiskalten Januarabend des Jahres 1987. New York versank im Schnee. Bläulich glitzerte das Wasser im Hudson, dann versank die Sonne, warf für ein paar Momente ein warmes, rotes Licht über die eisige Stadt und machte dann der schnell einfallenden Dunkelheit Platz. Klirrender Frost ließ den Schnee harsch werden und den Glanz der Sterne am Himmel klar und schimmernd.
    Laura lief ein wenig ziellos die Park Avenue hinauf. Sie bummelte manchmal nach der Arbeit noch herum, denn es zog sie nicht zu ihrer jammernden Mutter und ihrem ewig betrunkenen Vater. Manchmal war auch June da, und dann wurde alles noch trauriger. Es ging ihr nicht gut in ihrer Ehe. Sie hatte zwei Fehlgeburten gehabt und war danach auseinandergegangen wie ein Hefekloß. Vorbei die Zeit der engen Lederminis und tief ausgeschnittenen Pullover. Sid sagte ihr offen ins Gesicht, er finde sie scheußlich, und er denke nicht im Traum daran, ihr schöne Kleider zu schenken. Sie lief meistens in ausgebeulten Trainingshosen und fleckigen Pullovern herum, hatte fettiges Haar und benutzte kein Make-up. Auf fatale Weise fing sie an, ihrer Mutter zu ähneln.
    Laura liebte ihre Schwester, aber sie mochte sie nicht aufgequollen und elend bei Mum in der Küche sitzen sehen. Auch die Treffen mit Ken in dem finsteren Keller schob sie inzwischen vor sich her. Sein Dahinsiechen bedrückte sie, es entnervte sie, über nichts anderes als über Heroin zu reden. »Ich brauche Stoff,
Laura, hilf mir doch, bitte, gib mir Geld, du bekommst alles zurück, aber hilf mir jetzt, ich brauche das Zeug!«
    Einmal war sie, beide Hände auf die Ohren gepreßt, hinausgelaufen. Manchmal mußte sie tief durchatmen und all ihre Kraft zusammennehmen, ehe sie die Stufen zu ihm hinabstieg. Dann gingen ihr seine Worte durch den Kopf. »Du bist so schön, Laura. Bring dich in Sicherheit.«
    Der Mann sprach sie an der Ecke 73. Straße an, und etwas in seiner Stimme ließ Laura, die sonst stets mit gesenktem Kopf an den Männern vorbeihastete, innehalten. Der Mann sah sie kühl an, seine Worte klangen sachlich. »Ich bin Fotograf. Ich würde gern ein paar Bilder von Ihnen machen. Sie sind sehr schön, Miss.«
    »Wie bitte?«
    »Ich fotografiere«, wiederholte er ungeduldig. »Und ich ziehe durch die Straßen, um Gesichter zu finden, die es wert sind, festgehalten zu werden. Also, was ist?« Er betrachtete sie wie ein Künstler sein Objekt, nicht wie ein Mann eine Frau, das spürte Laura.
    »Wo machen Sie Ihre Aufnahmen?«
    »In meinem Studio. 80. Straße, Ecke Avenue of the Americas. Wenn Sie nicht wollen, sagen Sie es, ich habe nicht viel Zeit.«
    »Ich bin unmöglich angezogen. Und meine Haare...«
    »Mich interessieren weder Ihre Kleider noch Ihre Haare. Ich bin scharf auf Ihr Gesicht. Wenn ich herausgefunden habe, ob Sie wirklich fotogen sind, können wir uns mit dem übrigen Firlefanz beschäftigen.«
    Fast gegen ihren Willen ging sie mit. Als sie später überlegte, warum sie es getan hatte, begriff sie, daß es tatsächlich der Wunsch gewesen war, die allabendliche Begegnung mit Ken und ihrer Familie hinauszuschieben; jedenfalls hatte sie nicht die Vorstellung gehabt, sie könne über Barry Johnson berühmt werden.
    In dem Studio befanden sich ein Stuhl, zwei große Lampen und die Kamera. Es war nicht geheizt. Nachdem Laura ihren Mantel ausgezogen hatte, begann sie erbärmlich zu frieren, aber
das kümmerte Barry nicht. Er hantierte mit seinen Lampen, murmelte vor sich hin, konzentrierte sich auf den technischen Ablauf der Dinge. Dann richtete er sich wieder auf. »So. Wir können anfangen.«
    »Soll ich lächeln?« erkundigte sich Laura schüchtern.
    Barry schnaubte. »Machen wir hier Reklame für Zahnpasta? Schauen Sie mich mit dem melancholischen Ausdruck an, den Sie vorhin trugen, als Sie durch die eisige Kälte die Park Avenue hinaufkamen.«
    Laura schüttelte jeden Gedanken an die Situation, in der sie sich befand, ab, versuchte die Lampen zu vergessen, die Kamera, Barry Johnson, und versenkte sich in ihre eigene düstere, einsame Welt. Barry legte einen Film nach dem anderen ein. Jedesmal, wenn er ihr befahl, eine neue Position einzunehmen, von rechts im Profil, von links, das Kinn in die Hand gestützt oder mit freier Kopfhaltung, machte er zuerst ein

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