Schattenspiel
Sperre im Bahnhof stand und nach einer Münze kramte. Laura hatte sich dann neben eine dicke alte Frau gesetzt, die nach Knoblauch stank, aber immerhin einen Schutzwall bildete. Unglücklicherweise
stieg sie gleich an der nächsten Station aus. Sofort saß der Betrunkene neben Laura. Er preßte sich an sie. »Haste ’ne Zigarette? « fragte er.
Laura sah nicht hoch. »Nein.« Kalt breiteten sich Angst und Widerwillen in ihr aus. Sie versuchte weiterzulesen, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Der Mann neben ihr gab nicht auf. Er ließ sich gegen sie fallen.
»Hau ab«, sagte sie rauh, aber er grabschte nach ihren Beinen. Wollte er sie hier mitten in der Subway vergewaltigen? Hilfesuchend blickte sich Laura um. Ein paar vor sich hindämmernde müde Frauen, Männer, die teilnahmslos in eine andere Richtung blickten. Ein Junge nur schaute zu ihr hin, er war totenblaß, hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen, einen empfindsamen, ernsten Mund. Der Mann versuchte jetzt, den Reißverschluß von Lauras Jeans zu öffnen, er hing halb über dem Mädchen und keuchte heftig. Laura versuchte nicht mehr, sich hinter ihrer Zeitung zu verschanzen, sie wehrte sich jetzt aus Leibeskräften, geschüttelt von Entsetzen. »Laß mich los, verdammt noch mal, laß mich los!«
Der bleiche Junge stand auf und trat heran. Er war viel größer, als er im Sitzen gewirkt hatte und dünn wie ein Skelett. »Laß sie in Ruhe«, sagte er leise.
Der Mann ließ von Laura ab, wandte sich um und starrte den anderen an. »Was is’?« lallte er.
»Hau ab. Verpiß dich! Laß das Mädchen los!«
Zu Lauras Überraschung reagierte ihr Bedränger auf die sanfte Stimme. Einen Fluch murmelnd, ließ er Laura los und trollte sich ans andere Ende des Waggons. Mit zitternden Fingern strich Laura ihren Pullover glatt, zog ihren Mantel enger um sich. »Vielen Dank.«
»Ist schon okay. Ich heiße Keneth. Ken.«
»Laura.« Zum ersten Mal schaute sie ihn richtig an. Sanfte blaugrüne Augen, eingefallene Wangen. Ein grobgestrickter dunkelgrauer Wollpullover mit Rollkragen und zu kurzen Ärmeln. Dürre Handgelenke sahen daraus hervor und große, knochige Hände. Laura hatte genügend solcher Gesichter, solcher
Gestalten gesehen, um fast sicher zu sein, daß Ken an der Nadel hing. Mitleid stieg in ihr auf, und sie wußte nicht, daß sich ihre Gesichtszüge entspannten, sanfter und weicher wurden.
»Ich fahre oft morgens mit der Subway«, sagte er, »es ist warm hier drinnen.«
»Ich fahre immer um diese Zeit«, erwiderte Laura.
Von da an trafen sie einander jeden Morgen. Laura achtete darauf, immer im selben Wagen zu sitzen, und auch Ken war pünktlich am richtigen Ort. Sie erfuhr, daß er drei Jahre älter war als sie – achtzehn – und seit fünf Jahren regelmäßig Heroin spritzte. Sein ganzes Leben drehte sich Tag und Nacht nur um die Droge, darum, wie er sich neuen Stoff beschaffen konnte. Das Problem seiner Abhängigkeit stürzte ihn in einen verzweifelten Kampf. Es ging nicht darum, sich die Bedürfnisse zu erfüllen, nach denen andere Menschen verlangten, Essen, Kleider, ein Zuhause, es ging einzig um das feine Pulver. Geld, Geld, Geld... er brauchte jeden Cent, den er kriegen konnte. Hin und wieder fand er Arbeit, aber das waren nur Gelegenheitsjobs, die ihn zwei oder drei Tage über Wasser hielten, um ihn dann in dieselbe aussichtslose Lage zurückfallen zu lassen, in der er sich vorher befunden hatte. Laura beschwor ihn: »Du mußt aufhören, Ken! Hör auf!« und er sah sie an, trostlos und ohne Auflehnung gegen das Schicksal wie es war. »Ich kann nicht. Ich werde daran sterben, aber sterben ist sowieso besser als leben.«
Sie wurde seine Geliebte, in dem feuchten Keller, in dem er lebte. Es gab eine Matratze auf dem Steinfußboden und eine mottenzerfressene Wolldecke. Laura und Ken lagen stundenlang unter dieser Decke, liebten sich, streichelten einander, schliefen für eine Weile ein, wachten warm und zusammengekuschelt wie kleine Tiere auf. Ken umarmte Laura mit seinen mageren, zerstochenen Armen und sagte ihr, wie schön er sie fand. »Du bist so schön, Laura, so wunderschön. Du mußt dich in Sicherheit bringen, bevor die Bronx dich kaputtmacht. Geh nicht meinen Weg, Laura!«
»Ich lasse dich nicht im Stich, Ken.«
»Das mußt du aber. Ich werde bald sterben, und dann ist von
mir nichts mehr übrig, nur ein zerfallener Körper, den die Würmer fressen. Aber du, Laura, mußt leben. Du bist zu schön, um zu verkommen.«
Sie
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