Schattenspiel
Polaroidfoto und studierte es eingehend.
»Du hast das Gesicht eines Engels, Laura«, sagte er, »eines Engels voller Traurigkeit. Du strahlst Unschuld und Reinheit aus, und das tätest du selbst dann noch, wenn du auf Stöckelschuhen und mit grellrot beschmierten Lippen als weiße Superhure für die schwarzen Gangster durch Harlem stolzieren und dich für einen halben Dollar die Stunde an jeden dreckigen Kerl verschleudern würdest. Kapiert? Verstehst du, warum mich dein verdammtes Gesicht so verrückt macht?«
Laura brach in Tränen aus, wegen der derben Worte und aus Verwirrung, vielleicht auch, weil sie trotz der Lampen so fror. Barry reichte ihr seufzend sein Taschentuch. »Um Gottes willen, wir können jetzt wirklich keine verschwollenen Augen gebrauchen! Geh ins Bad, und wasch dein Gesicht mit viel kaltem Wasser, und bei der Gelegenheit kannst du dich auch gleich ausziehen. Ich möchte ein paar Aktfotos von dir machen.«
Laura rutschte von ihrem Stuhl und ging hinüber ins Bad. Im Gegensatz zum Studio war das Bad luxuriös eingerichtet, mit flauschigem Teppich, blitzend weißen Kacheln, einem Kranz von kleinen Lampen um den riesengroßen Spiegel. Auf einem
altmodischen Frisiertisch in der Ecke – vermutlich eine kostbare Antiquität – lagen ausgebreitet sämtliche Kosmetikartikel, die man nur brauchen konnte, Lippenstift und Puder, Lidschatten, Rouge, Kajal, Cremes und Salben, Haarspray und Wimperntusche. Laura besaß daheim nur einen einzigen Lippenstift. Vorsichtig probierte sie ein paar von diesen verlockenden Dingen aus. Ein bißchen goldbraunen Puder ins Gesicht, rosafarbenes Rouge auf die Wangen, hellen Lippenstift. Mit viel Sorgfalt tuschte sie sich die Wimpern. Wie ausdrucksvoll ihr Gesicht auf einmal aussah. Hellblau und glänzend wurden ihre Augen in den dunklen Kajalumrandungen. Die Haare... zerzaust und wirr fielen sie über ihre Schultern. Aber sie würde keine Zeit haben, sie jetzt zu waschen. Na ja...sie zuckte mit den Schultern. Wozu auch. War ja alles bloß Spaß.
Barry hatte gesagt, sie solle sich ausziehen. Etwas zögernd schlüpfte sie aus ihren Jeans, zog ihren Pullover über den Kopf. Wenigstens war das Bad geheizt, aber in diesem Studio würde sie sich den Tod holen. Von draußen konnte sie Barrys ungeduldige Stimme hören. »Brauchst du noch lange? Ich will hier nicht die ganze Nacht auf dich warten!«
Sie kam heraus, bekleidet mit ihrem Slip, BH und weißen Socken an den Füßen. Barry starrte sie an. »Ich hatte gesagt, ausziehen, um Himmels willen! Du bist doch hoffentlich nicht prüde?«
»Nein, ich dachte nur...«
»Zieh die Sachen aus!«
Ohne ihn anzusehen, zog sie die Socken aus, stieg aus ihrem Slip, öffnete den BH. Sie kam sich bloßgelegt vor, bis auf die Knochen.
Barry musterte sie eindringlich. »Wir lassen dich, wie du bist. Einschließlich dieser völlig chaotischen Haarmähne. Setz dich auf den Stuhl!«
Laura setzte sich, und Barry begann erneut mit den Aufnahmen. Weich fielen vor den Fenstern die Flocken zur Erde. Nach einer Stunde – oder war noch mehr Zeit vergangen? – begehrte Laura auf. »Mir ist kalt. Und ich bin entsetzlich müde!«
»Das ist gut. Du siehst verfroren und schläfrig aus, und das gibt dir eine ungeheuer sinnliche Ausstrahlung.«
»Kann ich nicht wenigstens eine Tasse Kaffee haben?«
Barry seufzte. »Solltest du jemals ein professionelles Fotomodell werden wollen, mußt du dich dran gewöhnen, daß zu diesem Job vor allem Disziplin gehört. Na, komm schon. Wir trinken einen Kaffee.«
Sie zog einen Bademantel von ihm an, der ihr viel zu groß war, und folgte ihm in die Küche. Während er den Kaffee kochte, kauerte sie auf einer Eckbank und aß gedankenverloren die Schale mit den Keksen leer, die auf dem Tisch stand. Sie verspürte einen schreienden Hunger, aber sie wagte nicht, es auszusprechen. »Was passiert mit den Fotos?« fragte sie.
»Ich werde sie einer Zeitschrift anbieten. Dem ›Penthouse‹ vielleicht. Oder dem ›Hustler‹. Mal sehen. Ich meine, du mußt dir jetzt nicht zuviel versprechen. Kann sein, ich sehe etwas in deinem Gesicht, was sonst kein Mensch sieht. Kann sein, die Leute wollen im Moment das gelackte Blondchen, nicht das Naturkind mit den ungekämmten Haaren.« Er stellte die Tassen und den Kaffee auf den Tisch. »Man wird sehen.«
Der Kaffee schmeckte heiß, süß – und vollkommen fad. »Davon werde ich bestimmt nicht wach«, murmelte Laura.
Barry nickte. »Sollst du auch nicht. Komm, wir machen
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