Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
weiter.«
    Irgendwann – sie mußte gerade verführerisch auf einem Klappbett liegen – konnte Laura sich einfach nicht länger gegen ihre Müdigkeit wehren. Sie versank in einen tiefen, traumlosen Schlummer. Als sie aufwachte, fragte sie sich sekundenlang verwirrt, wo sie war. Sie zitterte vor Kälte, obwohl eine Wolldecke über sie gebreitet lag. Fahles Morgenlicht sickerte in den Raum. Eine Kamera stand dort, Lampen, die nicht mehr brannten. Jetzt erinnerte sie sich... Barry Johnson, der Fotograf... Mit einem Satz sprang sie auf, stellte dann fest, daß sie splitternackt dastand. Wo waren ihre Kleider? Über einer Stuhllehne entdeckte sie Slip, BH und Strümpfe. Eilig zog sie die Sachen an, lief dann ins Bad, wo sie Jeans und Pullover in eine Ecke geknäult fand. Vor dem Spiegel
entwirrte sie ihre Haare. Sie sah blaß aus, die Schminke hatte sich verwischt. Plötzlich dachte sie entsetzt: Ich müßte längst bei der Arbeit sein! Aber dann fiel ihr ein, es war Sonntag, sie hatte frei. Sie zog ihren Mantel an, wickelte den Schal um den Hals. Als sie die Wohnung verlassen wollte, traf sie auf Barry.
    »Wohin so eilig? Ich dachte, wir frühstücken zusammen?«
    »Tut mir leid, Barry. Ich muß schnell nach Hause. Wie spät ist es?«
    »Neun Uhr.«
    »Neun Uhr? Ich habe eine Ewigkeit geschlafen. Auf Wiedersehen, Barry!« Sie wollte an ihm vorbei, aber er hielt sie zurück. »Falls Sie nun eine Berühmtheit werden – wo kann ich Sie erreichen?«
    Sie nannte ihm ihre Adresse, und er zog die Augenbrauen hoch. »Ein Mädchen aus der Bronx! Mit einem solchen Gesicht! Wie haben Sie sich diesen Ausdruck bewahrt?«
    Sie hob die Schultern; sie wollte nichts hören von ihrem Gesicht, sie wollte nach Hause. Als sie auf die Straße trat, schauderte sie vor der Kälte zurück. Mit den Füßen versank sie im Schnee. Einen Moment überlegte sie, während sie der nächsten Subway Station zustrebte, ob sie zuerst zu ihren Eltern oder zu Ken gehen sollte, aber eine innere Stimme plädierte für ihre Eltern. Sie beschloß, dieser Stimme zu folgen.
    In der Wohnung war es kalt und still. Laura warf einen Blick ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa lag Dad und schlief, und alles stank durchdringend nach Schnaps. Von einer plötzlichen Furcht ergriffen, rannte Laura in die Küche. »Mum?«
    Aber Mum war nicht da. Auch Whiskyflasche und Glas, die Requisiten, mit denen Sally Hart den Tag zu beginnen pflegte, standen nicht wie üblich auf dem Tisch. Laura machte kehrt, lief wieder ins Wohnzimmer. Sie rüttelte ihren Vater an den Schultern. »Dad! Dad, wach auf! Wo ist Mum? Wo ist sie?«
    Dad schlug die Augen auf, starrte seine Tochter verschwommen an. »Was is’?«
    »Ich will wissen, wo Mum ist! Ist sie fortgegangen gestern abend? Du mußt das doch wissen! Ist sie fortgegangen?«

    Dad schien unter allen Umständen wieder einschlafen zu wollen, aber das ließ Laura nicht zu. Sie schüttelte ihn wieder. »Dad! Ist sie gestern abend fortgegangen?«
    »Ist wohl so. Schlampe! Treibt sich rum, kommt nicht nach Hause. Weiß nicht, wo sie ist!« Sein Kopf fiel in die Kissen zurück, sein Mund öffnete sich. Er stieß leise Schnarchlaute aus. Laura fluchte, während ihr gleichzeitig die Tränen in die Augen schossen. Verdammte Scheiße, warum nur war sie gestern abend bei Barry Johnson und seinen blöden Fotos hängengeblieben? Und dann auch noch dort eingeschlafen! In dieser eisigen, schneedurchwehten Nacht war Mum fortgegangen, und sie hatte nicht nach ihr gesucht. Weil sie Fotomodell spielen mußte.
    Ohne ein weiteres Wort verließ sie die Wohnung. Es schneite noch immer.
    4
    Das »Old Tale« war eine heruntergekommene Kneipe im Herzen der Bronx. Verwahrlost, verdreckt, abbruchreif, Treffpunkt trostloser und einsamer Gestalten. Sally Hart ging nur selten dorthin, sie kam selten so weit, denn auf dem Weg lagen zuviele Spelunken. Es war an diesem Sonntagmorgen die letzte, die Laura aufsuchte. Ihre Wangen glühten trotz der Kälte, ihre Seiten stachen vom schnellen Laufen. Auf den ersten Blick sah sie das Polizeiauto im Hof, daneben einen Krankenwagen. Gaffende Menschen, die gern dem scharfen Wind und der schneidenden Kälte trotzten, wenn sich ihnen dafür nur eine Sensation bot. Laura drängte sich zwischen ihnen hindurch. »Was ist geschehen? Ist jemand verletzt?«
    Mike Taylor, der schwarze Inhaber des »Old Tale«, trat ihr entgegen, ein baumlanger Kerl mit einem schwermütigen Gesicht. Aus melancholischen dunklen Augen sah er sie an. »Deine Mum,

Weitere Kostenlose Bücher