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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Laura...«
    »Mum? Was ist mit Mum?« Die Leute starrten sie an, machten
jedoch bereitwillig Platz, als sie sich nach vorne drängte. »Mum!« Es war die verängstigte Stimme eines kleinen Kindes. Sie starrte die Tote an, den fetten aufgedunsenen Leib, die seitlich weggespreizten Arme und Beine, die schwarzen dünnen Haarsträhnen ausgebreitet im Schnee. Mum lag auf dem Bauch, bedeckt von ihrem fleckigen Mantel, der an den Kniekehlen endete und ihre grotesk dicken Waden unbarmherzig enthüllte. Bläulich zeichneten sich die Krampfadern unter den laufmaschenübersäten Strümpfen ab. Laura neigte sich über sie. »Mum!« sagte sie flehend. Einer der Beamten sagte kalt: »Die Alte ist tot. Erfroren. Muß völlig betrunken hier eingeschlafen sein. War total zugeschneit: Kinder haben sie gefunden.«
    »Wenn ich das geahnt hätte!« Mike war inzwischen herangetreten. »Da liegt Sally bei mir im Hinterhof, und ich weiß es nicht. Die arme Sally! Es mußte ja eines Tages so kommen!«
    Laura berührte die Fingerspitzen ihrer Mutter. Sie waren eiskalt. Sie hatte das Ende gefunden, das sie immer gesucht hatte... Jahrelang war sie dem Tod in einer Winternacht nachgelaufen, jahrelang hatte Laura versucht, dem Schicksal in die Arme zu fallen... Aber es erfüllt sich, was bestimmt ist...
    Es hat sich für Mum erfüllt, dachte Laura, und es wird sich für mich erfüllen.
    Sie dachte, sie müßte weinen, aber es wollten keine Tränen kommen. Leer und ohne Empfindung sah sie ihre Mutter an.
    Die Trostlosigkeit der Szenerie machte sie starr; so wie bei einem Verwundeten, der unter Schock steht, gelangte die Erkenntnis dessen, was geschehen war, nicht bis in ihr Bewußtsein. Sie nahm Abschied mit einem letzten Blick, Abschied nicht nur von der toten Frau im Schnee, sondern auch von einer Angst, die sie allzu lange gequält, ihr ungezählte dunkle Stunden bereitet hatte. Die kalten Nächte, in denen sie zitternd und frierend durch die Bronx geirrt war, hatten sich für immer in ihr Gedächtnis eingegraben und schmerzende Wunden hinterlassen; sie waren außerdem Wegbereiter einer neuen Angst: Sie würden in besseren Zeiten ihre Alpträume füllen, und sie würden es sein, woran sie voller Entsetzen dachte, wenn eine Rückkehr in die Armut drohte.
    Sie drehte sich um und stapfte durch den Schnee davon, die Hände fest vergraben in ihren Manteltaschen. Mike rief ihr etwas nach, aber sie hörte es nicht. Ihre Schritte wurden immer größer, immer schneller, und schließlich rannte sie durch die Straßen. Wäre sie Barry nicht begegnet, dann lebte Mum vielleicht noch...
    Nicht daran denken, befahl sie sich, überhaupt nicht denken. Nie wieder. Sie langte vor dem Haus an, in dessen Keller Ken wohnte. Rachitische Kinder lungerten im Flur herum. Laura öffnete die Kellertür, wie immer im ersten Moment erschlagen von der gähnenden Schwärze und dem modrigen Geruch. Dann drehte sie am Lichtschalter, und die nackte Glühbirne an der Decke brannte in hellem Weiß. Sie lief die Stufen hinunter. Ken! Ken mußte sie jetzt in die Arme nehmen und trösten...sie wollte nicht denken, er sollte sie nur festhalten, ihr ganz nah sein.
    Er lag auf seiner Matratze, auf dieser dünnen, klammen Matratze, die ihnen in ungezählten Stunden als Liebeslager gedient hatte. Kerzen brannten im Raum. Ken hatte glasige, verzückte Augen. »Oh, das ist gut«, murmelte er, als er Laura sah, »es ist so gut!«
    Er wiegte sich leise im Rhythmus einer Musik, die nur er hörte.
    Laura ging auf ihn zu. »Ken, Mum ist tot! Hörst du? Meine Mum ist tot!«
    »Es ist so schön«, seufzte Ken, »Laura, die Welt ist eine leuchtende Farbe. Das ganze Leben ist eine Farbe!«
    Laura begriff, er hatte wieder Stoff bekommen. Nachher würde es ihm schlechtgehen, und er würde Zuflucht in ihren Armen suchen, aber jetzt war er high. Er schwebte in himmlischen Sphären, und er verstand nicht im mindesten, was sie ihm sagte.
    Laura ließ sich langsam neben ihm auf der Matratze nieder. Sie griff nach seiner Hand und sagte leise: »Ja, Ken. Die Welt ist eine Farbe. Das Leben... eine blutrote Farbe.«
    Sie wußte, er brauchte sie, mehr als sie ihn. Immer würde es so sein. Wo war der starke Arm, der sie schützte? Sie war allein.
    5
    »Messer rechts, Gabel links, Schatz«, sagte David leise, »kannst du dir das denn gar nicht merken?«
    Laura vertauschte das Besteck und erwiderte trotzig: »Ich kann’s mir schon merken. Aber ich kann so nicht essen!«
    »Du mußt das lernen. Wenn du Mrs.

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