Schattenspiel
vor sich hinzupfeifen. Es klang vertraut und anheimelnd. Ohne daß Laura wußte warum, fing sie plötzlich an zu weinen.
2
Beim Dinner herrschte eine gespannte Atmosphäre. David hatte das Essen aus einem japanischen Restaurant kommen lassen, und es war mit Sicherheit das Vorzüglichste, was jeder von ihnen in den letzten Monaten gegessen hatte, aber auch das vermochte die Stimmung nicht zu lockern. Insgeheim beschäftigte sich jeder nur damit, die anderen verstohlen zu mustern und geheime Betrachtungen anzustellen.
Mary sieht aber wirklich schlecht aus, dachte Gina, und Nat wirkt auch nicht besonders munter. Was für ein putziges kleines Mädchen sich David da aufgegabelt hat! Aber sie paßt überhaupt nicht in dieses mondäne Silberflitterkleid! Sie hat ein viel zu zartes, verletzbares Gesichtchen, und außerdem wette ich, daß sie geweint hat.
Steve überlegte: Lieber Himmel, sieht Gina gut aus! Ich wußte, sie würde es schaffen. So lange sie lebt, wird sie niemals klein beigeben. Ich wünschte, ich wäre wie sie!
Sein Blick glitt zu David. Der schaute gerade auch zu ihm hin, und sekundenlang sahen sie einander direkt an. Steve suchte
nach dem Haß, der ihn all die Jahre begleitet und ihn im Gefängnis hatte durchhalten lassen, aber in diesem Moment konnte er ihn nicht finden. Er empfand nur Müdigkeit und Leere.
»Wißt ihr«, fragte Mary, »woran mich dieses Essen erinnert?«
Alle sahen zu ihr, erleichtert, daß jemand das lastende Schweigen brach.
»Woran erinnerst du dich denn?« erkundigte sich Natalie höflich. Mary, die es haßte, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen, fühlte plötzlich alle Augen auf sich gerichtet und wurde abwechselnd rot und blaß.
»Es erinnert mich daran, wie wir damals in unserer Schulzeit alle zusammen in London essen gingen, in einem wahnsinnig teuren Restaurant, und ...«
»Richtig, ich weiß!« unterbrach Gina lebhaft. »Das war 1978, ich...«
»79«, verbesserte David.
»Stimmt nicht. Es war das Jahr, als wir den Brand in der Schule hatten, bei dem der ganze Westflügel draufging. Ich weiß es noch genau.«
»Nein!« Das war Natalie. Ihre Stimme klang sehr ruhig. »David hat recht. Es war 1979. Denn ein Jahr später fuhren wir beide nach Crantock.« Sie sah David an. Der schaute zur Seite. Auf einmal verstummte alles, auch das Klappern der Teller.
»Du erinnerst dich doch an Crantock, David?« fragte Natalie schließlich.
»Ja, ja«, sagte David hastig.
Mary machte einen schwachen Versuch, auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen. »Keiner von uns hatte Geld dabei, unglücklicherweise merkten wir das aber erst beim Dessert. Unsere einzige Hoffnung war ...«
»... daß noch irgendein Bekannter ins Restaurant kommen würde und wir ihn anpumpen könnten«, vollendete David, »und Steve und ich rauchten eine Zigarette nach der anderen, um Zeit zu gewinnen.«
»Wie ging die Geschichte aus?« fragte Natalie. »Ich kann mich gar nicht mehr erinnern.«
»Ich glaube, sie ging schlecht aus«, sagte Steve. »Wir mußten zugeben, daß wir kein Geld hatten, und ein Ober bewachte uns, als seien wir eine Bande halbstarker Krimineller, während ein anderer in der Schule anrief. Einer der Lehrer kam und bezahlte die Rechnung, aber natürlich mußten wir das dann von unserem Taschengeld abstottern.«
»In gewisser Weise waren wir eine Bande halbstarker Krimineller«, sagte Gina lustig. Sie hob ihr Glas. »Cheers! Auf unsere lang vergangene Jugend!«
Sie prosteten einander zu. David dachte: Ihr habt überhaupt keine Ahnung, wie wild ich danach war, euer Freund zu sein.
Er empfand es immer noch als bitter, zu bemerken, daß sie es tatsächlich nicht wußten. Sie hatten es nie bemerkt. Er hätte seine Seele dafür gegeben, von ihnen allen geliebt zu werden. Er dachte an den Jungen zurück, der um Aufmerksamkeit, Sympathie und Anerkennung gebettelt hatte, und dem alles schiefgegangen war. Einen Angeber hatten sie ihn genannt, einen Egozentriker, der beständig um seine Wehwehchen kreiste, der entweder von seinem phantastischen Erbe in Amerika oder irgendeiner eingebildeten Krankheit sprach. Es hatte sie einen Dreck geschert, wie es in ihm aussah. Hatten sie je etwas gewußt von seiner Verwirrtheit, von dem Druck, der auf ihm lastete, von den Schreckensgeschichten, die in seinem Gehirn durcheinanderpurzelten? Was wußten sie schon von dem Altar im Wohnzimmer, von der Madonna und dem Bild seines Großvaters in silbernem Rahmen, was wußten sie von einem
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