Schattenspiel
einzige Lampe brannte, wurde Mary von dem heftigen Wunsch ergriffen, die Zeit zurückzudrehen und eine zweite Chance zu haben.
Wenn wir doch noch einmal jung wären. Noch ein einziges Mal. Ich würde reden, ihm alles sagen, was ich fühle und empfinde, und selbst, wenn ihm nichts an mir läge, müßte ich wenigstens nicht mit dem Gefühl alt werden, das Beste und Schönste in meinem Leben versäumt zu haben.
»Du hast ein hübsches Kleid an«, sagte Steve. Mary blickte an sich hinunter. Das Kleid war aus moosgrünem Samt, einfach und schmal geschnitten, es betonte ihre immer noch sehr gute Figur. Ihre zierlichen Füße steckten in hochhackigen dunkelgrünen Schuhen.
»Wirklich hübsch«, wiederholte Steve.
»Mein letztes Geld steckt darin. Ich war absolut wahnsinnig, mir so teure Sachen zu kaufen, aber ich wollte einmal...« Sie schwieg.
Steve verstand und nickte. »Man hat es so satt, ewig in denselben billigen Fetzen herumzulaufen«, sagte er bitter, »immer schlecht behandelt zu werden, weil man nicht dazugehört, weil jeder einem ansehen kann, daß man arm ist. In dieser Welt wirst du an deinem Geld gemessen, Mary, an nichts sonst. Es ist ein Scheiß—Dasein!«
Sie berührte sacht seinen Arm. »Wir sind gesund, Stevie. Immerhin. Schau dir Nat an, sie ...«
»Was ist mit ihr?«
»Ich glaube, sie ist tablettensüchtig. Kurz nach unserer Ankunft gestern habe ich sie getroffen. Sie schluckte gerade zwei. Ihre Hände zitterten, und sie starrte mich an, als sei ich ein Gespenst. Es geht ihr nicht gut.«
»Sieh an, unsere Nat! Die erfolgreiche Super—Journalistin! Wahrscheinlich schafft sie ihren Job nur mit Hilfe irgendwelcher Tranquilizer.«
»Sie hat Furchtbares erlebt«, meinte Mary. »Dieses schreckliche Verbrechen damals in Crantock...«
Beide schwiegen und dachten an Vergangenes zurück, dann fragte Steve: »Wie ist es mit deinem Mann, Mary? Hat er inzwischen Arbeit?«
»Nein. Immer noch nicht. Er sucht auch gar nicht mehr richtig, läßt sich vollkommen gehen und lebt einfach nur in den Tag hinein. Ich weiß nicht, wie es mit ihm werden soll.«
»Deine Tochter ist jetzt bei ihm?«
»Bei einer Freundin. Ich wollte sie nicht mit ihm allein lassen. Es reicht, wenn er mich tyrannisiert, Cathy braucht nicht auch noch unter ihm zu leiden. Er ist sehr wütend, weil ich Davids Einladung gefolgt bin.«
Steve lachte. »Trotzdem hast du’s getan. Ein Fortschritt, Kindchen. Früher hast du gekuscht, wenn der Herr und Meister gesprochen hat. Warum die neuen Sitten? Was war so wichtig an
Davids Einladung, daß du dich deshalb sogar mit deinem Mann anlegst?«
»Ich weiß nicht...es war so ein Gefühl, als ob ...«
»Ich weiß genau, was uns hierhergeführt hat, dich und mich. Wir wollen Geld. Du doch auch, nicht wahr, Mary? Dieser Mann hat zuviel gesündigt und zuwenig bezahlt. Es wird Zeit, daß er...«
Mary schaute ihn an, und in ihrem Blick lag Befremden. »Geld? Nein, ich bin doch nicht wegen Geld gekommen! Es ist nur so, daß ich glaube...irgendwie werde ich vielleicht endlich begreifen, warum alles so kommen mußte wie es gekommen ist.«
Laura mußte zum zweitenmal ihr gesamtes Make-up entfernen und wieder erneuern, weil ihr der Eyeliner ausgerutscht war und schwarze Balken auf ihre Oberlider gemalt hatte. Sie fluchte leise und griff nach einem Wattebausch. David, der neben ihr stand und seine Krawatte festzog, sagte: »Du bist aber ziemlich nervös, Laura.«
»Ja. Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«
»Nein? Wirklich nicht?«
Etwas in seinem Tonfall machte sie stutzig. »Nein«, sagte sie trotzig, »wirklich nicht.«
»Du warst ja heute auch tatsächlich einmal den ganzen Tag zu Hause. Ich habe es mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Für gewöhnlich treibst du dich doch den ganzen Nachmittag in der Stadt herum.«
Laura, die sich nach vorne gelehnt hatte, um dichter am Spiegel zu sein, richtete sich auf. »Was meinst du mit ›herumtreiben‹?« fragte sie scharf.
David schaute sie nicht an. »Ich meine es, wie ich es sage. Du verschwindest, und kein Mensch weiß, wo du dich die vielen Stunden über aufhältst. Ich meine, du mußt mir natürlich keine Rechenschaft ablegen, aber ich stelle nur fest, daß ich über deine Schritte nicht im mindesten unterrichtet bin.«
»Wie genau willst du es denn wissen? Soll ich es jedesmal
vorher melden, wenn ich auf die Toilette oder in die Badewanne gehe?«
»Dein Zynismus ist hier ganz unangebracht. Ich mache dir ja nicht
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