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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und das sie irgendwann später gelangweilt zurückstellte.
    »Nein«, sagte sie, »ich weiß nicht, wie weh es tut. Aber manchmal denke ich, daß der Schmerz dazugehört, und dann wünsche ich mir...ich wünsche mir, daß ich es auch einmal bin, die so liebt, daß Glück und Schmerz sie bis ins Innerste treffen.«
     
    Menschen, die einander irgendwann an einem zufälligen Tag, an einem zufälligen Ort begegnen, haben jeder ihre eigene Geschichte, die es im nachhinein konsequent erscheinen läßt, daß sie einander über den Weg laufen mußten. An jenem kalten Oktoberabend, als Mary tränenüberströmt im Zug von London nach Hause zurückfuhr, saß ihr zukünftiger Mann, der von ihrer Existenz nicht die geringste Ahnung hatte, in seiner kleinen Mietswohnung im Osten Londons am Küchentisch und wußte nicht, fühlte er sich so beschissen, weil er zuviel getrunken hatte oder weil das Leben als solches ein Dreck war. Ihn jedenfalls hatte es zu keiner Zeit gut behandelt. Erst eine miese Kindheit, nichts als Pech in der Schule, später keine anständige Ausbildung, und Glück in der Liebe schon überhaupt nicht. Mit den Frauen war immer alles schiefgegangen.
    Vor zwei Wochen hatte er seinen Job als Kassierer im Supermarkt verloren – er hatte sich ein paarmal mit Kunden angelegt, war grob und ausfallend geworden –, und das Arbeitsamt hatte ihm darauf eine Stelle als Gärtner in einem Internat besorgt. In einem Internat, ausgerechnet! Er nahm nur an, weil er in einem Anflug von ehrlicher Selbsteinschätzung begriff, daß er im Falle einer wochenlangen Arbeitslosigkeit in einen Sumpf geraten
würde, aus dem er vielleicht nie wieder herausfände. Dann schon besser in so ein gottverdammtes Internat gehen, Hecken kleinschneiden und Laub zusammenkehren. Wenigstens würde er dort umsonst wohnen können, so daß er die Wohnung hier nicht aufzugeben brauchte. Es war natürlich ein kaum verzeihbarer Luxus, eine Wohnung in London zu halten, die man höchstens an jedem zweiten Wochenende aufsuchte, aber es schien ihm undenkbar, keine Bleibe mehr in der Stadt zu haben. Dieses Internat – Saint Clare oder so ähnlich hieß es – lag am Ende der Welt, Felder und Wiesen ringsum und sonst nichts.
    Er setzte die Bierflasche an den Mund und trank sie mit einem Zug leer, dann stand er auf und trottete schwankend zur Wohnungstür. Er würde in seine Kneipe gehen und den Kumpels einen ausgeben. Vielleicht gab es ein paar hübsche Mädels in Saint Clare, und darauf konnte man schließlich trinken.
    4
    Mary fühlte sich krank und wund in ihrer Seele, und auf Schlaflosigkeit und Appetitmangel reagierte schließlich auch ihr Körper. Sie bekam eine Erkältung, mit der sie zwei Wochen lang herumkämpfte, und als sie endlich blaß und mager ihr Bett wieder verließ, waren ihr Medikamente und Kummer so auf die Nieren geschlagen, daß sie sich mit einer Nierenentzündung gleich wieder hinlegen mußte. Sie hatte hohes Fieber und redete manchmal wirres Zeug, so undeutlich zum Glück, daß ihr Vater daraus nicht klug werden konnte.
    Der Arzt meinte dazu: »Sehr überspannte Nerven, die junge Dame. Kommt bei Mädchen in dem Alter häufig vor. Wissen Sie, ob sie Liebeskummer hat?«
    Michael Brown fuhr herum. »Nein! Natürlich hat sie den nicht! Meine Tochter läßt sich nicht mit Männern ein!«
    Der Arzt erwiderte darauf nichts. Seiner Ansicht nach kannten die meisten Väter ihre Töchter nicht einmal halb so gut wie sie
glaubten, und bei diesem jungen Mädchen sah es ganz so aus, als stecke ein Mann dahinter. Als er einmal mit Mary allein gewesen war, hatte er sie darauf angesprochen, aber sie hatte nur den Kopf zur Seite gewandt, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.
    »Geht alles vorüber«, murmelte er, »keine Sorge, da müssen wir alle durch, und Jahre später erkennt man, daß alles gar nicht so schlimm war.«
    Anfang Dezember war Mary so weit wiederhergestellt, daß sie nach London fahren konnte, angeblich, um Weihnachtsein käufe zu erledigen, in Wahrheit, um Leonard Barry noch einmal aufzusuchen. Es war ein seltsamer Tag, schneeschwer der Himmel, rauhreifbedeckt die Wiesen, ein kalter Wind fegte über die Felder. Mary saß benommen in ihrem Zugabteil und dachte über ihren Traum aus der letzten Nacht nach. Sie hatte ein Schwert gesehen – oder war es ein langes Messer gewesen? –, das sich in einem hellen Weiß leuchtend an die Decke des Zimmers zeichnete. Irgendwann, während sie das unheimliche Ding anstarrte, wurde ihr klar,

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