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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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daß sie nicht träumte, sondern wach lag, und daß es Wirklichkeit war, was sie sah. Unbeweglich, mit laut hämmerndem Herzen, blieb sie liegen, bis sich schließlich ihre Gedanken verwirrten und sie einschlief. Als sie am Morgen erwachte, war das Schwert verschwunden. Sie erzählte Steve davon und fügte hinzu: »Das war bestimmt ein böses Vorzeichen. Irgendeine Art Warnung. Meinst du nicht?«
    Steve war gerade wieder einmal dabei, verschiedene Cremes in seinem Gesicht zu verteilen. Er stellte die Dosen weg, schlang einen grauen Schal lässig um seinen Hals und folgte Mary in ihr Zimmer, wo er sofort das Fensterkreuz als Urheber des Schreckens ausmachte. »Da hat sich ein langgezogener Schatten an der Decke abgebildet. Nichts weiter.«
    »Ein Schatten ist dunkel, oder? Das Schwert aber war hell! Und außerdem hätte ich es dann öfter sehen müssen, nicht erst heute!«
    »Dann hat eben der Mond in einem besonderen Winkel gestanden, oder du bist sonst um diese Zeit nicht aufgewacht. Was weiß ich. Jedenfalls steckt nichts Geheimnisvolles dahinter.«

    Die Ahnung eines drohenden Unheils verlor sich, als Mary in London aus dem Zug stieg. Es herrschte eine feuchte Kälte, die alle Glieder klamm werden ließ. Mary zog ihren Schal vor das Gesicht, vergrub ihre Hände tief in den Manteltaschen und ging mit großen Schritten die Straße hinunter.
    Inzwischen kannte sie den Weg und wußte, daß sie eine Abkürzung durch eine Ecke des St. James Parks nehmen konnte. Ein schmaler, kiesbestreuter Weg empfing sie, rechts und links davon kahles Gestrüpp. Nebel schlang sich um struppige Äste, Feuchtigkeit lag über dem niedrigen Gehölz. Ein Vogel flatterte auf, verschwand im Dunst. Ein müder Tag, der nicht hell wurde. Schon verdichtete sich die Dämmerung wieder.
    Mary lief noch schneller. Sie befand sich ganz alleine im Park, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Auf einmal wünschte sie, sie wäre außen herum gegangen, durch die belebten Straßen. Ihr fiel das Schwert wieder ein, und nun rannte sie beinahe. Der Weg wurde schmaler und dunkler, aber zurück war es jetzt genau so weit, deshalb hätte es keinen Sinn, umzukehren. Sei nicht albern, befahl sie sich, niemand will dir etwas tun. Du bist verrückt – nur wegen eines Traums.
    Sie bog um eine Ecke und verlangsamte ihren Schritt, denn auf der Bank, die dort stand, saß eine Frau. Soweit Mary im matten Licht erkennen konnte, war sie nicht mehr ganz jung, etwa zwischen vierzig und fünfzig. Sie trug einen abgeschabten Mantel, dessen Saum weit heraushing. Ihre fahlgelben Haare lagen in zusammengeklebten Strähnen um ihren merkwürdig hochgezogenen, eiförmigen Kopf. Sie schielte; ihr Gesicht war von Narben bedeckt, und ihr fehlten die beiden oberen Schneidezähne.
    Eigentümlich lauernd sah sie Mary an, die ihr unsicher zulächelte. Die Frau erwiderte das Lächeln nicht, ihr Blick saugte sich statt dessen an Mary fest. Als sie an ihr vorüber war, lief sie wieder schneller. Hörte der Park denn nie auf? Und warum begegnete ihr niemand?
    Neben ihr knackte es im Gebüsch. Mary zuckte zusammen, als die Frau von der Bank plötzlich auftauchte. Sie hatte die Abkürzung durch das Gehölz genommen und stand nun wie aus dem
Boden gewachsen neben Mary. Ihre schielenden Augen flackerten. »Wieviel Uhr?« fragte sie.
    »Oh...es ist... es ist ...« Mary schob umständlich ihren Mantelärmel zurück. »Es ist halb fünf!«
    »Wieviel Uhr?« wiederholte die Frau.
    Mary sagte: »Halb fünf«, und ging schneller. Die Frau paßte sich sofort ihrem Tempo an.
    »Wohin gehst du?« Eine seltsam singende Stimme. Und dieser flackernde Blick...
    Eine Verrückte, dachte Mary und spürte Panik in sich aufsteigen.
    So ruhig wie möglich antwortete sie: »Ich besuche einen Freund.«
    »Wohin gehst du?«
    »Ich besuche jemand. Es ist schon spät, ich muß mich beeilen.«
    »Nimmst du mich mit?«
    Warum muß mir so etwas passieren? fragte sich Mary verzweifelt. Nicht auszudenken, wenn sie mit dieser Vogelscheuche bei Leonard aufkreuzte.
    »Wissen Sie, ich fürchte, es geht nicht, daß Sie mitkommen. Wir haben ein paar wichtige Dinge zu besprechen ...«
    Die Frau starrte sie an; in ihrem Blick war zu lesen, daß sie nicht verstand, was Mary sagte. Sie schielte so heftig, daß Mary einen Moment lang glaubte, sie schaue sie gar nicht an, sondern blicke an ihr vorbei nach etwas, das hinter ihr passierte. Sie drehte sich ebenfalls um, und gleich darauf schrie sie voller Entsetzen, denn die Sekunde der

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