Schattenspiel
überraschend heftigem Zorn: Du hast mir ja sowieso nie geholfen! Und solange ich lebe, wirst du’s auch nicht tun.
4
Mr. Bush drückte die Taste der Wechselsprechanlage, die ihn mit seiner Sekretärin verband. »Schicken Sie mir die Quint!«
Er betrachtete das Manuskript, das vor ihm lag. Über das Wochenende hatte er es gelesen, nachdem Natalie es ihm am Freitag abgeliefert hatte. Eine zehnteilige Serie über das Leben des Aristoteles Onassis. Außerordentlich gut geschrieben. Lebendig, mitreißend, originell. Zu gut im Grunde für sein Blatt.
Mr. Bush war der Chefredakteur von »Limelight«, dem wöchentlich erscheinenden farbigen Magazin, das sich im wesentlichen mit den neuesten Klatschgeschichten aus Europas Königshäusern und dem internationalen Geldadel befaßte, Das Blatt lebte von einer Menge bunter Bilder, von ein paar reißerischen, nicht unbedingt wahrheitsgetreuen Schlagzeilen, romantischen Liebesgeschichten und einem unterschwellig erhobenen moralischen Zeigefinger, der gegen Abtreibung, Drogen und alle Unmoral schlechthin zu Felde zog. Es war ein ganz einfaches Konzept, das hier glänzend aufging, und Mr. Bush wußte, daß er viel Geld damit verdiente, daß er die Leute mit dem fütterte, wonach sie verlangten, ohne dabei ihren Intellekt zu beanspruchen oder sie mit unbequemen Gedankengängen zu behelligen. Er machte sich keine Illusionen über das Niveau seiner Zeitung, aber sein Geld tröstete ihn über gelegentliche Anflüge von Frustration hinweg. Solange die Kasse stimmte, konnte er sich arrangieren.
Aber dieses Mädchen, die Quint, die würde irgendwann weiterflattern. Ein wirkliches Talent.
Die Tür ging auf und Natalie trat ein. Mr. Bush betrachtete sie wohlwollend. Er mochte ihre Art, sich zurückhaltend und elegant zu kleiden, er fand ihr klares, gutgeschnittenes, intelligentes Gesicht anziehend, und er hatte ihre vernünftige, sachliche Art gern. Sie schien stets sehr ruhig, sprach immer mit großer Konzentration, und irgendwo in ihr schien eine unerschöpfliche Kraft zu sein.
»Miss Quint, ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen ein Kompliment auszusprechen«, sagte er und wies einladend auf den Stuhl, der seinem Schreibtisch gegenüberstand. »Ich habe über das Wochenende Ihre Serie gelesen, und ich muß sagen, ich empfand es nicht als Arbeit, sondern als Vergnügen. Packend geschrieben bis zum letzten Wort. Sie sind Ihrer Aufgabe in jeder Weise gerecht geworden.«
»Vielen Dank, Mr. Bush.«
»Es ist ja gefährlich, so etwas zu sagen, Natalie, aber ich fürchte, Sie werden nicht mehr lange bei uns bleiben. Sie sind zu gut. Sie werden klettern und klettern—und eines Tages haben Sie Ihre eigene Zeitung. Das sehe ich, und in diesen Dingen irre ich mich selten.«
Damit hatte er Natalies eigene Pläne in Worte gefaßt, und sie freute sich, daß ihr Boss so viel von ihr hielt.
»Ich hoffe, daß ich es schaffe«, sagte sie ruhig.
Mr. Bush nickte. »Glauben Sie an sich. Und lassen Sie sich durch nichts aus der Bahn werfen. Das ist das Gefährlichste an dem bezaubernden Alter, in dem Sie sich befinden. Es gibt so viele ehrgeizige, begabte, zielbewußte junge Menschen, die den besten Start haben und einen phantastischen Weg gehen könnten, und dann passiert irgend etwas – es mag eine dumme, kleine Sache sein oder eine durchaus bedeutungsvolle –, aber sie ist in jedem Fall für die jungen Leute Himmel oder Hölle –, und es fehlt ihnen die Erfahrung, die Dinge in Relation zu ihrem ganzen Leben zu sehen. Und schon gibt es einen Knacks, der vielleicht nie mehr ganz verheilt.«
Natalie hatte ihm aufmerksam zugehört. »Ich wüßte nicht, was bei mir passieren sollte«, sagte sie.
Mr. Bush lächelte. »Es muß nichts passieren. Es wäre Ihnen zu wünschen. Auf jeden Fall denken Sie immer daran, daß Sie Ihr Leben ganz allein in der Hand haben und daß Sie zwar von anderen Menschen in einen Abgrund gestoßen werden können, aber daß Sie immer die Möglichkeit haben, sich aus eigener Kraft wieder hinauszuretten.«
»Ich denke daran«, antwortete Natalie und strich sich mit der Hand durch ihr dichtes, blondes Haar.
Was für ein netter, älterer Herr er doch ist, dachte sie, er lächelt einen an und erklärt einfach, wie das Leben funktioniert, und man fühlt sich irgendwie warm und geborgen dabei.
»Nun aber weiter«, sagte Mr. Bush. »Weshalb ich Sie außerdem habe kommen lassen: Ich brauche jemanden für eine Reisereportage, genauer gesagt, ich brauche Sie. Unter der Überschrift
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