Schattenspiel
»Romantisches Cornwall« sollen Sie ein paar Dinge über Sehenswürdigkeiten, Geschichte, Menschen, Sagen Cornwalls zusammentragen. In zwei oder drei Folgen möchte ich das bringen. Ich weiß, daß Sie anders zu schreiben gewohnt sind und daß unsere immer etwas kitschigen Reiseberichte Ihnen nicht besonders zusagen, aber es wäre ein bißchen wie Urlaub, und ich glaube, den könnten Sie im Moment gut brauchen. Was halten Sie von meinem Plan?«
»Ehrlich gesagt, ich hätte schon Lust auf eine Reise. Besonders nach Cornwall.«
»Gut. Dann geht das in Ordnung?«
»Sicher. Wann soll ich fahren?«
»Wie immer in unserem Job: Sofort. Das heißt, wenn Sie Donnerstag aufbrechen könnten, wäre das großartig. Heute ist Montag, es bleiben Ihnen also noch zwei Tage für die Reisevorbereitungen. Einverstanden?«
»Ja. Donnerstag ist kein Problem.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.
»Sie müßten natürlich noch einen Fotografen mitnehmen«, sagte Mr. Bush leichthin.
»Ja, natürlich...« Nur ein feiner Beobachter hätte gemerkt, daß plötzlich ein anderer Klang in Natalies Stimme war. Sie haßte Fotografen. Genauer gesagt, sie haßte es, mit ihnen zu verreisen. Zweimal hatte sie das tun müssen, und beide Male war es am zweiten Abend zu jener unangenehmen Szene vor der Tür des Hotelzimmers gekommen, wohin der Fotograf sie nach dem gemeinsamen Abendessen begleitet hatte und wo er nun beginnen wollte, seine höchst konkreten Vorstellungen die Nacht betreffend zu verwirklichen. Natalie hatte jedesmal so getan, als begreife sie nicht, worauf die Männer hinauswollten, aber sie waren dann um so deutlicher geworden.
»Sie sind ein richtiges prüdes kleines Mädchen vom Lande«, hatte der eine gesagt, »und Sie verderben sich damit eine Menge Spaß. Machen Sie nur so weiter, dann sind Sie eines Tages eine verstaubte alte Jungfer!«
Sie war in ihr Zimmer geflohen, hatte die Tür zugeschlagen und sich von innen dagegen gelehnt. Warum begriffen diese Kerle nicht, daß sie nichts von ihnen wollte? Warum konnten sie nicht aufhören, sie zu bedrängen?
»Sie können einen Fotografen von uns mitnehmen«, sagte Mr. Bush, »oder, wenn Sie einen anderen kennen, der Ihnen lieber ist, wäre mir das genauso recht.«
»Einen...« Der Gedanke kam ihr ganz plötzlich, wie von einem rettenden Engel gesandt, und rasch erwiderte sie: »Ein Freund von mir ist ein sehr guter Fotograf. Außerdem könnte er ein bißchen Geld brauchen.«
»In Ordnung.« Mr. Bush lächelte. Und Natalie lächelte. Wie nett alle zu mir sind, dachte sie und atmete entspannter, und es ist ein so schöner Sommerabend. Und Mr. Bush hat mir eine große Karriere prophezeit!
Sie war jetzt fast ein Jahr lang in King’s Lynn, und nachdem sie zuerst in einer kleinen Wohnung über dem Marktplatz gewohnt hatte, war sie vor drei Monaten hinaus nach Gaywood gezogen. Sie hatte eine Wohnung im ersten Stock eines Zweifamilienhauses, und sie verdiente inzwischen genug, um sich schön und elegant einzurichten. Natürlich hatte sie Bekannte, aber es
gab weder einen Mann noch eine Frau in ihrem Leben; dafür stürzte sie von Zeit zu Zeit in wahre Abgründe von rabenschwarzer Einsamkeit, in der ihr dann nichts half als die Zähne zusammenzubeißen und sich in ihre Arbeit zu vergraben.
Heute aber würde sie sich einen schönen Abend machen. Sie fuhr mit dem Bus nach Gaywood – meistens ging sie zu Fuß, ihrer Figur wegen — aber heute hatte sie es eilig, weil sie noch nach Hunstanton fahren und ein bißchen am Meer entlangbummeln wollte. Außerdem wollte sie David anrufen.
Er hatte wirklich immer ganz gerne fotografiert und besaß eine hochkarätige Kamera, daher war sie darauf gekommen, ihn mit nach Cornwall zu nehmen. Im Nachhinein wurde ihr allerdings unbehaglich zumute. Seit der Sache mit Steve hatte keiner mehr Kontakt zu David, darüber herrschte unter den Freunden eine stillschweigende Übereinkunft. David hatte ihnen allen seine Adresse und Telefonnummer aus Southampton geschickt, wo er Wirtschaftswissenschaften studierte, aber keiner hatte reagiert. Natalie wollte ungern die Erste sein, die ausbrach, aber mit der ihr eigenen Vernunft sagte sie sich schließlich, daß man David nicht ewig wie einen Geächteten behandeln konnte. Wenigstens dann nicht, wenn man ihn brauchte.
Sie duschte, trank einen Sherry und zündete sich eine Zigarette an, dann setzte sie sich neben das Telefon und wählte Davids Nummer.
Vielleicht, dachte sie, ist er nicht da.
Er war da.
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