Schattenspiel
Boden. Die Mädchen fingen an, sich freier zu bewegen, sie flüsterten einander zärtliche Worte zu, nannten sich mit neuen, frivolen Namen, lachten leise, spielten mit den Händen in den Haaren der anderen. Gina rollte sich auf den Bauch, und Natalies Hände glitten über ihren Rücken, still und langsam, und kein Laut war im Raum zu hören. Dann wieder kicherten sie, kugelten übereinander wie junge Hunde, berührten sich tapsig und grob, aber immer voller Begierde. Sie schienen eins zu sein, vollkommen in ihrer Übereinstimmung und Harmonie, aber in Wahrheit gingen jeder von ihnen andere Gedanken durch den Kopf.
Gina dachte: Es muß so phantastisch sein, das mit einem Mann zu erleben!
Und Natalie dachte: Ich werde immer nur Frauen haben. Wie grauenhaft muß es mit einem Mann sein!
Jede für sich trafen sie in dieser Stunde eine Entscheidung.
David ging die Treppe hinunter. Er ging langsam und bedächtig, nachdenklich. Unten traf er Steve, der noch ein paar
Sachen aus dem Auto brachte: Zutaten für das geplante Spaghettiessen am Abend.
»Und«, fragte Steve, »sind sie oben?«
»Ja... ja, sie sind oben.«
»Wenn sie uns mit dem Essen helfen wollen, sollen sie jetzt kommen. Ich werde...« Steve wollte die Treppe hinauf, aber David hielt ihn zurück. »Laß nur. Sie kommen gleich.«
Steve brauchte nicht zu sehen, was er gesehen hatte. Die Mädchen hatten sein Klopfen nicht gehört, ihn nicht gesehen, als er die Tür öffnete. Verstört und erschrocken hatte er sich zurückgezogen .
3
Mrs. Quint stand in der eichenholzgetäfelten Eingangshalle von Graythorne und streifte sehr langsam jeden einzelnen Finger ihrer weißen Handschuhe über. Es war Ende August und eigentlich zu heiß für Handschuhe, aber zu einem Poloturnier konnte man unmöglich ohne Handschuhe gehen. Sir Frederic Laughcastle, der nächste Nachbar – eine halbe Stunde zu Fuß entfernt von Graythorne –, züchtete Poloponies und veranstaltete das Turnier, aber es würde zugleich ein großes Gartenfest sein, zu dem nur Abkömmlinge der besten Familien aus der Grafschaft eingeladen waren. Unter anderem eine Menge heiratsfähiger junger Männer. Mrs. Quint hatte sich deshalb, um Geld und Vornehmheit der eigenen Familie wirkungsvoll repräsentieren zu können, ein Kleid von Laura Ashley gekauft, himmelblaue Seide mit eingewebten kleinen Rosen, und für Natalie eines aus rosafarbenem, leichten Baumwollstoff, schulterfrei und mit breiter Schärpe um die Taille. Mrs. Quint fand, es sei höchste Zeit, daß Natalie anfinge, sich für junge Männer zu interessieren – und die Männer für sie. Warum verhielt sie sich nur immer so kühl und abweisend? Die wenigen Männer, die versucht hatten sich ihr zu nähern, waren immer sehr rasch und ein wenig erschrocken
zurückgewichen. Sie gab sich nicht die geringste Mühe, ihre Scharfzüngigkeit ein wenig zu zügeln – und wenn sie doch nur einmal, einmal mit einem Mann über etwas anderes sprechen würde als über Politik! Mrs. Quint seufzte tief und blickte durch eines der Bogenfenster hinaus in den Park, der hochsommerlich blühend in der Sonne lag, sich aber bereits leise herbstlich färbte: Die Spitzen der Blätter an den Apfelbäumen röteten sich, Spinnweben glitzerten entlang der Sträucher, weithin duftete es nach gemähtem Heu.
Wie schön könnte mein Leben sein, dachte Mrs. Quint, wie hübsch und geordnet, wenn Natalie mir nur ein klein wenig Wärme und Entgegenkommen zeigen würde.
Es machte ihr schwer zu schaffen, daß Natalie den jungen Mann kannte, der in London soeben zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war, weil er für seinen Bruder, der im Auftrag der IRA eine Bombe gelegt hatte, unter Eid eine falsche Aussage gemacht hatte. Der Fall war in aller Ausführlichkeit durch die englische Presse gegangen, und irgendwo wurde auch Saint Clare als die Schule erwähnt, die der Angeklagte früher besucht hatte.
Kein Bekannter und Verwandter, der Natalie nicht fragte: »Du warst doch auch in Saint Clare. Kanntest du ihn?«
Mrs. Quint hatte ihre Tochter geradezu angefleht, ihre Bekanntschaft mit diesem Marlowe so weit wie möglich herunterzuspielen. »Sag, du kanntest ihn flüchtig. Du hast ihn ein- oder zweimal gesehen. Glaub mir, Natalie, es ist nicht gut für dich, wenn du so jemanden kennst!«
Natalie hatte ihre Mutter kühl angesehen und erwidert: »Steve gehört zu meinen engsten Freunden. Das kann jeder wissen.«
Mrs. Quint seufzte noch einmal tief und rückte ihren Hut zum hundertsten
Weitere Kostenlose Bücher