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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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über das Leben nachgedacht.«
    Nun betrachtete David sie. Er fand, sie sei eine andere, seitdem sie sich selbständig durchs Leben schlug. In ihrer Ruhe hatte immer eine träge Melancholie gelegen, eine Abkehr vom Leben, aber nun erwachte sie, verlor ihre katzenhafte Schläfrigkeit, und es war, als seien ihre Augen größer, ihr Lachen lauter, als leuchte ihre Haut in einem seidigen Glanz. David kam die Szene in den Sinn, die er unfreiwillig in St. Brevin beobachtet hatte, Natalie und Gina im Bett — er erinnerte sich der fiebrigerotischen Atmosphäre, die ihm aus der brütendheißen Dachkammer entgegengeschlagen war. Instinktiv ahnte er, vielleicht weil er beide Mädchen lange genug kannte, daß St. Brevin für Gina ein Abenteuer, für Natalie aber ein wichtiges Erlebnis gewesen sein mußte.
    »Und worüber denkst du jetzt nach?« fragte Natalie.
    »Darüber, wie schön du bist«, erwiderte David.
    Natalies Augen wurden groß. Die ganze Schulzeit hindurch hatte sie im Schatten von Ginas phantastischer Schönheit gestanden und sich dadurch gerettet, daß sie intelligenter war als jeder andere in Saint Clare; zum erstenmal wünschte sie sich in diesem Moment, schön zu sein, wirklich und wunderbar schön.
    »Wie schön ich bin?« fragte sie mit leiser Stimme. David überlegte, dann sagte er: »Du bist schön wie die Liebe.«
    Er neigte sich über den Tisch und küßte sie sanft. Zu ihrer Überraschung empfand sie keinen Widerwillen.
     
    Der nächste Tag war ein Sonntag, und während Natalie und David auf der Trewarmett Farm, wo sie für die vergangene Nacht untergekommen waren, frühstückten, saß Mary in ihrer Londoner Wohnung vor einem liebevoll gedeckten Tisch — allein. Cathy schlief noch, und Peter hatte die Wohnung verlassen, um sich
mit seinen Kumpels zu treffen. Sie wollten irgendwo zusammen ein Bier trinken.
    Mary hatte verschüchtert im Wohnzimmer gestanden, gehüllt in den alten blauen Morgenmantel ihrer Mutter. Sie hatte weiche Eier auf den Tisch gestellt, Kaffee, Orangensaft, Toast, Marmelade, Käse und Schinken und ein Glas saure Gurken.
    »Möchtest du nicht wenigstens erst frühstücken, Peter? Es ist nicht gut, gleich auf nüchternen Magen...«
    »Verdammt noch mal!« Peters Faust sauste krachend auf den Tisch. »Ich habe nicht geheiratet, um für immer einen leibhaftigen Polizisten im Haus zu haben, der mir vorschreibt, was ich zu tun und zu lassen habe! Ich bin so blöd und geb’ meinen guten Namen für dich und deinen Bastard und...«
    »Peter, bitte nicht so laut!« Warum mußte er immer gleich brüllen? Im ganzen Haus bekamen die Leute ihre Streitereien mit. Mary haßte die mitleidigen Blicke, die man ihr draußen im Flur häufig zuwarf. An diesem Morgen kam sie sich wieder vor wie in einem bösen Traum.
    »Ich schreie, so laut ich will«, schrie Peter. »Und ich gehe in die Kneipe, so viel ich will! Ich will dir nur sagen, mit jedem einzelnen von meinen Kumpels macht mir der Sonntag mehr Spaß als mit einer grauen Maus wie dir, die kreischt, wenn ich sie nur anfasse! « Er stürmte hinaus, wobei er alle Türen mit Wucht hinter sich zuschmetterte. Mary sank langsam auf das Sofa, starrte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin und schenkte sich schließlich mit mechanischen Bewegungen eine Tasse Kaffee ein. Draußen regnete es in Strömen. Ein warmer, heftiger Juli-Regen. Sie wußte nicht, sollte sie erleichtert sein oder traurig. Wenn Peter sonntags daheim blieb und es wurde nicht zufällig ein Fußballspiel im Fernsehen übertragen, dann wollte er nichts anderes als mit Mary ins Bett, und das war das Schlimmste.
     
    Aber die einsamen Sonntage deprimierten sie ebenfalls, besonders, wenn sie nicht einmal mit Cathy spazierengehen konnte, weil es regnete.
    Es war neun Uhr, im Radio brachten sie Nachrichten. Da gerade
wieder der Zug vorbeiratterte, bekam Mary den Anfang nicht mit, aber dann horchte sie rasch auf.
    »... tappt im Dunkeln. Das Verbrechen ereignete sich in der letzten Nacht, und wurde nach Aussage der Überlebenden des Massakers von mindestens vier Männern, alle maskiert, verübt. Die Verbrecher konnten allem Anschein nach durch ein offenstehendes Kellerfenster in das Haus eindringen, dessen Gästebetten voll belegt waren. Es müssen sich in den folgenden Stunden unvorstellbare Szenen dort abgespielt haben. Ein Polizeisprecher erklärte, niemals zuvor ein solches Blutbad gesehen zu haben. Weder Geld noch Schmuck fehlen; es ist also anzunehmen, daß die Täter politisch oder

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