Schattenspiel
hinauf, aber es kamen keine Häuser mehr. Dann ging es entlang am Rande eines Weizenfeldes, das im leichten Wind wogte wie die Wellen eines Sees, und schließlich durch sanft geschwungene, mit Gras und Büschen bewachsene Dünen, die immer sandiger wurden, je näher sie dem Meer kamen.
»Crantock ist die perfekte Idylle«, sagte David.
»Fast zu perfekt«, fand Natalie. Es war nun doch spät geworden. Die Sonne färbte den Himmel im Westen rötlich und warf einen kupferfarbenen Schimmer über die Hügel. »Zu sehr außerhalb der Wirklichkeit. An Orten wie diesem sind Schönheit und Frieden nicht real, aber genauso könnte es mit dem Entsetzen sein.« Dann aber fegte sie den Anflug einer düsteren
Ahnung beiseite. »Komm, wir sehen mal, wie kalt das Wasser ist.«
Sie blieben zwei Stunden am Strand, schwammen in den reichlich kühlen Wellen des Atlantik und lagen im warmen Sand. Es waren eine Menge Menschen da, aber auf dem großen Strand verliefen sie sich. Bald gingen die meisten auch nach Hause. In der Ferne hoben sich ein paar weiße Häuser gegen den dunkelblauen Himmel ab.
»Wie in Italien«, sagte Natalie verträumt.
»Wir sollten«, meinte David, »jetzt irgendwohin zum Essen fahren. Ich habe einen wahnsinnigen Hunger.«
Sie gingen zum Haus zurück, duschten und zogen sich um. Natalie wählte ein grüngeblümtes Sommerkleid, das sie noch nie getragen hatte, und schminkte sich stärker als sonst. Im Spiegel stellte sie fest, daß ihr Teint bereits eine leicht goldbraune Farbe anxtahm. Sie fand, sie habe ein gutes Leben, ein Gedanke, den sie ihre ganze Kindheit und Jugend hindurch nie gehabt hatte, und er hatte etwas sehr Beglückendes.
Als sie im Auto saßen und durch die Dämmerung fuhren – sie wollten in die nächstgrößere Stadt-sagte David: »Hoffentlich ist das Wetter morgen immer noch so schön, dann könnte ich hier ein paar tolle Aufnahmen machen. Vom Strand und von den Häusern und Gärten.«
»Und diese Bilder würden dann bei mir unter den Teil ›Cornwall, das Urlaubsparadies‹ fallen«, ergänzte Natalie. »Paradies ist auch genau der Ausdruck, der auf Crantock zutrifft.«
Kurz nach Mitternacht kamen sie zurück. Es war eine warme, windstille Nacht; dem Mond fehlte nur ein kleines Stückchen noch zur vollen Größe. Er warf ein silbernes Licht über die Dünen. Die Luft duftete schwer nach Jasmin und Rosen.
Im Haus brannte kein Licht mehr, es rührte sich auch nichts, als David und Natalie die Tür aufschlossen und eintraten. Sie hatten in einem italienischen Lokal jeder eine gewaltige Portion Lasagne, einen Teller Salat und zum Nachtisch Cassata gegessen, dazu eine große Karaffe Rotwein getrunken. Sie waren satt
und müde und spürten eine wohltuende Schwere in den Gliedern.
Natalie kleidete sich höchst umständlich aus. Sie behielt Slip und BH an, zog ihr längstes Nachthemd über den Kopf und entledigte sich des BHs dann mit den komplizierten Bewegungen einer Schlangentänzerin. Den Slip ließ sie, wo er war. Sie putzte sich die Zähne, bürstete zweimal kurz über die Haare und schlüpfte ins Bett, wo sie die Decke bis zum Kinn zog. David schlief nackt, wie sie mit einem unauffälligen Seitenblick feststellte. Als er sich neben sie legte, war die alte Furcht plötzlich wieder da. Den ganzen Tag über waren sie sehr vertraut miteinander gewesen – wie, wenn er das mißverstanden hätte?
Das Zimmer lag im Dunkeln. Er löschte das Licht. »Natalie?« erklang es leise.
Sie lag wie erstarrt. »Ja?«
»Ich habe dir noch nicht gesagt, daß ich im Herbst Southampton verlassen und nach New York gehen werde. Andreas möchte, daß ich mein Studium an der Columbia University beende. «
»Freust du dich?«
»Ich weiß nicht... es ist eine Chance, nicht?«
»Dein ganzes Leben ist eine einzige große Chance, David. Zu diesem gigantischen Erbe da drüben kommst du doch gewissermaßen wie die Jungfrau zum Kind. Unter einer Million von Menschen passiert so etwas höchstens einem.«
»Ich weiß.« Das klang zögernd.
»Du warst doch immer glücklich darüber«, sagte Natalie. »In Saint Clare hast du ständig von deiner phantastischen Zukunft gesprochen. Man konnte es ja kaum mehr hören!«
»Ihr habt mich für einen ziemlich großen Angeber gehalten, nicht wahr?«
»Manchmal schon«, erwiderte Natalie ehrlich. »Es ist uns hin und wieder ein bißchen auf die Nerven gegangen.«
David schwieg eine Weile. Natalie glaubte schon, er sei eingeschlafen. Aber dann sagte er plötzlich.
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